„Die Natur spielt immer mit“ – Dortmunder Freilichtbühne wird 40 Jahre alt

Von Bernd Berke

Dortmund. „Die Natur spielt immer mit.“ Ein Grund- und Merksatz für alle Freilichtbühnen. Nicht nur Wetter-Kapriolen sind gemeint. Es passiert auch schon mal, daß unverhofft ein Hase über die Szene rennt oder daß gar ein veritables Rindvieh mitten in einer Liebesszene unromantischen Laut gibt. Alles schon geschehen auf der Naturbühne Hohensyburg, im südlichen Grüngürtel Dortmunds. Doch Fuchs und Hase sagen sich hier nicht immer einsam gute Nacht: Mit 37 000 Besuchern verzeichnete man in der letzten Saison ein Hoch in der Bühnengeschichte. Und die währt jetzt 40 Jahre.

So fing es an: Im Frühjahr ’53 brachte man das Stück „Wetterleuchten auf Sigiburg“ heraus, ein auf Dortmund bezogenes, heutzutage wohl schwerlich nachspielbares Germanen-Spektakel mit Flügelhelmen und allem Drum und Dran. Seitdem gab’s insgesamt 65 Stücke und 940 Aufführungen zu sehen. Die „1000″ erreicht man noch in diesem Jahr.

Bühnenbilder und Ausstattung waren anfangs noch sehr bescheiden. Meist mußten die Baumwipfel als Kulisse reichen, manchmal brachte einer von zu Hause ein paar Requisiten mit. Übrigens: Einer gehört jetzt noch zum 160-köpfigen Ensemble, der die Anfänge schon erlebt hat: Erwin Oeke, heute 73 Jahre alt. Das nennt man Treue.

Plötzlich „Grips“ statt Grimm

Zeitgeist machte sich vor allem beim Kindertheater bemerkbar. Selbst das Rumoren um 1968 hatte hier ein fernes Echo. Plötzlich spielte man „Grips“ statt Grimm; es war keine Zeit für Märchen, sondern für Wahrheiten, wie sie eben das muntere Berliner Grips-Theater verbreitete. Im Erwachsenentheater blieb man hingegen (bundesweit) beim üblichen Repertoire zwischen „Charleys Tante“ und Shakespeares oder Molières Komödien.

Provokationen wie Handkes „Publikumsbeschimpfung“ wird man hier nie riskieren. Zugkräftig muß es schon sein, denn der Etat muß eingespielt werden. Die Naturbühne erhält pro Saison 5000 DM städtischen Zuschuß – und das bei Produktionskosten von rund 50 000 DM pro Stück. Da ist es schon fast ein Wagnis, wenn hier (für 1994 fest geplant) Anton Tschechows „Onkel Wanja“ auf den Spielplan kommt.

Vorerst aber denkt man an a die Saison ’93. Sie beginnt am 20. Mai mit Shakespeares „Wie es euch gefällt“ . Für Kinder gibt es, als deutsche Erstaufführung, die Dramatisierung von Astrid Lindgrens „Die Kinder von Bullerbü“.

Molière auf Ruhrdeutsch? Geht nicht…

Seit 1985 leitet Frank Kantereit die Geschicke der Naturbühne, zuweilen mit strenger Hand. Erst neulich, so erzählt er, habe er zwei Darsteller „entlassen“, die ihren Text auch nach mehrfacher Mahnung nicht auswendig konnten. Doch das ist die Ausnahme. Praktisch alle 160 Mitstreiter, sozial und vom Alter her gut gemixt, sind mit Begeisterung bei der Sache  – allesamt ehrenamtlich.

Dabei haben sie’s nicht leicht: In Dortmund benutzt man z. B. keine tragbaren Mikrophone beim Spiel. Starke Stimmen sind gefragt, die sich auch gegen ein unruhiges Kinderpublikum behaupten können. Apropos Sprechkultur: Auch da, so sagt Frank Kantereit, schließe er keine Kompromisse. Kommen Anfänger mit reviertypischem Akzent, so knöpft er sie sich vor: „Ruhrdeutsch bei Molière – das geht einfach nicht!“ Und was findet er schlimmer als einen Totalverriß? Kantereit: „Wenn jemand gönnerhaft sagt: Es war halt ganz nett.“

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 24 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Region Ruhr, Theater abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.