Endspiele der Verzweiflung – Zum Tod von Samuel Beckett

Von Bernd Berke

Wie prägend Samuel Beckett für Literatur und Theater der zweiten Jahrhunderthälfte war, zeigt sich schon daran, daß eine Theatergröße wie Thomas Bernhard mit dem Etikett „Alpen-Beckett“ belegt wurde. Becketts bloßer Name stand für eine ganze (Theater-)Welt. Zwar wurde der Ire dem „Absuiden Theater“ zugerechnet, er befand sich aber auf einsamer, alle „Richtungen“ überragender Anhöhe.

Inszenierungen seines Jahrhundert-Dramas „Warten auf Godot“ (1953) waren oft entscheidende Wegmarken in der Entwicklung der jeweiligen Bühnen – wie dies sonst nur noch bei ganz anders gearteten Gigantenwerken à la „Faust“ oder „Hamlet“ der Fall ist. Bekannt wurden auch Beckett-Stücke wie „Endspiel“ (1957), „Das letzte Band“ (1959) oder „Glückliche Tage“ (1961). Torsohafte Bühnengestalten, die nur mit dem Kopf aus Mülltonnen ragten, oder sein 30-Sekunden-Stück „Atem“, das nur aus Atemgerausch besteht, wurden zu Begriffen.

Wie kein anderer fand Beckett Chiffren für einen verzweifelten Weltzustand, aber auch für verzweifelte Komik. So zog er im „Godot“ das Leben auf eine Alptraum-Formel zusammen: Der Mensch werde „rittlings über dem Grabe“ geboren. Er schrieb aber auch „Schauspieler-Theater“ reinsten Wassers: Eine Rolle wie die des alten Krapp in „Das letzte Band“ war Herausforderung für große Darsteller wie Martin Held und Bernhard Minetti.

Der Erfolg des am 13. April 1906 in Foxrock bei Dublin geborenen Autors kam spät. Zunächst unbeachtet blieben frühe Arbeiten, wie der (auf deutsch erst 1989 erschienene) Prosa-Band „Mehr Prügel als Flügel“ (1934) oder die Romane „Murphy“ (1938) und „Watt“ (1944). „Murphy“ begann mit dem wohl meistzitierten aller Beckett’schen Endzeit-Sätze: „Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues“.

Im Januar 1953 wurde dann in Paris sein Stück „Warten auf Godot“ uraufgeführt. Es rief Heerscharen von Deutern auf den Plan. Jeder konnte hier „seine“ Wahrheit suchen – der Christ, der Nihilist, der Marxist. Wohl über kein anderes Stück ist so hirnzermarternd nachgedacht worden, Beckett hatte – wie auch in anderen Werken – die Bühnenwelt auf scheinbar einfachste Grundformen reduziert, so daß man alles hineingeheimnissen konnte. Das Nichts und das Alles waren hier sozusagen eins geworden.

Der Autor verweigerte (mal verärgert, mal verschmitzt) Deutungshinweise. So wollte er z. B. sein sprichwörtlich gewordenes „Endspiel“ schlicht und einfach als „Spiel“ verstanden wissen. Auch eigene Inszenierungen seiner Stücke gaben wenig Aufschluß.

Beckett hatte 1928 in Paris seinen Landsmann James Joyce zum Freund gewonnen und war zeitweise sein Sekretär. Neben Joyce war zunächst Marcel Prousts Werk für Beckett bestimmend. Zwischen 1930 und 1938 pendelte er zwischen Dublin, London, Deutschland und Paris („Wanderjahre“), ehe er sich endgültig in Paris niederließ, wo er lange isoliert und verarmt blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er der französischen Widerstandsbewegung angehörte, begann er auch französisch zu schreiben und war Übersetzer seiner eigenen Werke.

1969 nahm Beckett den Nobelpreis für Literatiir an, fuhr jedoch nicht zur Entgegennahme nach Stockholm. Spätestens seit den 70er Jahren galt er als Klassiker der Modeine (und wurde in mancher Inszenierung als solcher verhaimlost). Im letzten Sommer – nach dem Tod seiner Ehefrau – hatte er seine Wohnung aufgegeben und war in ein Altenheim gezogen.

Beckett starb, wie erst gestern bekannt wurde, am letzten Freitag mit 83 Jahren in Paris. Er wurde am 2. Weihnachtstag im engsten Familienkreis auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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