Der große unbekannte Literat – Lesung zu Wolfgang Welt im Bochumer Schauspielhaus

Eine tragische Person. Eigentlich hat er’s schon draufgehabt, das Schreiben: Lapidar und pointensicher, souverän strukturierte und rhythmisierte Prosa, der zuzuhören Freude macht. Einiges davon war jetzt zu hören, live, bei so etwas wie einer nachträglichen Geburtstagsfeier (bzw. –lesung), die das Bochumer Schauspielhaus anläßlich des 70. Geburtstags Wolfgang Welts ausrichtete.

Jele Brückner und Konstantin Bühler aus dem Ensemble lasen zusammen mit Frank Goosen Texte des früh Verstorbenen vor. Und wenn das erst am 3. Februar geschah, ist das zumindest auch dem Umstand geschuldet, daß ein 31.12. – der tatsächliche Geburtstag Welts – kein guter Termin für Lesungen aller Art gewesen wäre. Wolfgang Welt übrigens starb schon 2016, mit 64 Jahren.

Rock und Pop

Wolfgang Welt schrieb literarische, oft autobiographische Texte, er schrieb aber auch Rezensionen für Szene-Blätter wie „Marabo“ oder „Guckloch“, die in den 70er Jahren, gerade im studentisch geprägten Bochumer Raum, einen kräftigen Höhenflug erlebten. Welt hatte ein stupendes Fachwissen zu Rock- und Pop-Musik, war, was er gerne und wiederholt betonte, ein großer Buddy-Holly-Fan. Ein Literat war er zudem, hatte als Autor im Bochumer Intendanten Leander Haußmann, dem Literaturkritiker Willi Winkler, dem Suhrkamp-Lektor Hans-Ulrich Müller-Schwefe sowie Peter Handke oder auch Hermann Lenz potente Fürsprecher.

Eigentlich waren die Achtziger eine gute Zeit für Pop-Literaten, zu denen man mit gebührendem Vorbehalt Wolfgang Welt vielleicht doch zählen könnte; warum also blieb der große (oder wenigstens mittlere) Durchbruch aus, war der Bochumer Dichter zeitlebens gezwungen, seinen Lebensunterhalt als Schallplattenverkäufer, später als Nachtwächter, zu verdienen?

Psychiatrische Erkrankung

Zu erwähnen sind die psychische Erkrankung, die Welt zwang, seine journalistische Arbeit einzustellen und ab 1982 als Wachmann zu arbeiten – ab 1991 übrigens im Schauspielhaus Bochum, wo sein fester Platz hinter der Glasscheibe im Künstlereingang war. Außerdem war er in geschäftlichen Dingen wohl nicht sehr geschmeidig, hielt mit Antipathien nicht hinter dem Berge, schätzte (in seinen Pressetexten) auch die üble Beschimpfung, etwa Heinz-Rudolf Kunzes, dessen Klassifizierung als „singender Erhard Eppler“ noch zu den feineren Formulierungen eines gnadenlosen Verrisses zählte. Vielleicht war es die rote Wut, vielleicht die Wut des Unbeachteten – es gab Korrespondenzen mit den Granden des bundesdeutschen Feuilletons, Karasek zum Beispiel, die sich schön lesen, aber zu nichts führten. Gerade einmal die Tageszeitung „taz“ hat Wolfgang Welt, ein bißchen jedenfalls, entdeckt und druckt nun manchmal Texte von ihm.

Aus armen Verhältnissen

Die eigentümlich ereignisarmen Biographien Annie Ernaux’ gehen einem durch den Sinn, die die Theater derzeit so gerne auf die Bühnen stellen (wie z.B. in Dortmund „Der Platz“). Eine zentrale Botschaft lautet: Kinder aus ärmlichen Verhältnissen, wie erstaunlich, haben es schwer, nach oben zu kommen; und an unverarbeiteten Minderwertigkeitsempfindungen leiden sie häufig auch dann noch, wenn sie im Leben erfolgreich waren.

Wie es damals eben so war

Ob die Herkunft aus einfachen Verhältnissen auch für Wolfgang Welts relative Erfolglosigkeit (zu Lebzeiten) eine Rolle spielt? Kann sein, muß aber nicht. Welts Verhältnis zur Mutter war liebevoll, in den Kindergarten kam er nicht, weil Mutter ihn gerne bei sich behalten wollte, was, wie wir vermuten, dem frühkindlichen Spracherwerb durchaus zuträglich gewesen sein könnte. Der Vater war zwar oft besoffen, aber wenigstens nicht übergriffig, den Kindern gegenüber nicht und auch wohl nicht gegenüber seiner Frau. Es war nur manchmal schwierig, ihn noch ins Bett zu kriegen, wenn er aus der Kneipe kam. Nun denn.

Zu erdig

Aus den autobiographischen Texten grinst dich das Ruhrgebiet der Fünfziger an, wo die Briketts noch tief flogen, aber Depression und Hoffnungslosigkeit keineswegs Leitmotive waren. Goosen erzählt recht ähnliche klingende Geschichten, ähnlich gerade auch dann, wenn es um Fußball geht. (Es geht oft um Fußball.) Vielleicht, aber das ist natürlich schon hoch spekulativ, waren Wolfgang Welts autobiographische Erzählungen einfach zu erdig für das oft recht eskapistische Repertoire der sogenannten Pop-Literatur. Denn ist der Stil auch leicht und locker, so sind die Geschichten doch existentiell, ist die psychische Erkrankung letztlich nicht verwunderlich.

Eine späte Entdeckung

Nach dieser schönen Geburtstagslesung tut es dem Verfasser dieser Zeilen jedenfalls leid, so spät auf den Schriftsteller Wolfgang Welt gestoßen zu sein. Erst als er starb, was in dem Medien ein gewisses Echo fand, wurde ich aufmerksam auf ihn. Früher hatte ich, in den guten alten analogen Zeitungszeiten, lediglich ab und zu die Pressefotos bei ihm abgeholt, die das Schauspielhaus von Premieren zur Verfügung stellte. Denn das gehörte zu seinem Job, Presseunterlagen aushändigen. Als Nachtwächter im Schauspielhaus.

Nachlaß liegt in Düsseldorf

Es gibt eine Reihe von Buchveröffentlichungen Wolfgang Welts, im Internet wird man fündig. Der ausführliche Wikipedia-Eintrag ist ganz aktuell. Sein Nachlaß übrigens, Berge von Schallplatten und eine üppige Bibliothek, ging an das Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut.

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1 Antwort zu Der große unbekannte Literat – Lesung zu Wolfgang Welt im Bochumer Schauspielhaus

  1. Bernd Berke sagt:

    Bei den Revierpassagen (established April 2011) kam der doch nicht gar so unbekannte Wolfgang Welt immerhin 2012 in einem längeren Beitrag vor: https://www.revierpassagen.de/13976/bochum-buddy-holly-und-uberhaupt-als-wolfgang-welt-die-treibsatze-seiner-texte-zundete/20121123_1138

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