Monatsarchive: März 2023

Sehnsüchte und Selbsttäuschungen: Mit Peter Eötvös‘ Oper „Tri Sestri“ nach Tschechow wächst das Theater Hagen über sich hinaus

„Drei Schwestern“: Dorothea Brandt (Irina), Maria Markina (Mascha), Lucie Ceralova (Olga). (Foto: Leszek Januszewski)

Bis in die siebziger Jahre hinein waren sie in Mode und in jedem gepflegten Haushalt anzutreffen: Runde Deckchen, gehäkelt oder bunt bedruckt, schmückten Tischchen, Vitrinen, Buffets. Die Familie Prosorow macht es sich in Friederike Blums Inszenierung der Oper „Tri Sestri“ von Peter Eötvös im Theater Hagen auf einem solchen Accessoire der Gemütlichkeit bequem.

Eine mehrdeutige Chiffre mitten in der kargen Raffinesse von Tassilo Tesches Bühne. Sie steht für den trügerischen Schein des Äußerlichen, für den vergeblich gesuchten Schutzraum vor den Stürmen der Welt und der eigenen Gefühle, für Sehnsüchte und Selbsttäuschungen. Andrej, der gescheiterte Bruder der „Drei Schwestern“, wird sich darin einhüllen wie in einen Schutzmantel.… Weiterlesen

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Unterwegs ins Unerklärliche: Georg Kleins Erzählungsband „Im Bienenlicht“

Zum seinem 70. Geburtstag (29. März) legt uns Georg Klein einen neuen Band mit Erzählungen vor. Im Bienenlicht heißt die Zusammenstellung von achtzehn Texten, gegliedert in zwei Teile, die mit „Wachs“ und „Honig“ überschrieben sind.

In bester Tradition des phantastischen Erzählens lotet Georg Klein die Grenzen dessen aus, was mit Literatur möglich ist, und scheint sich in manchen der Texte noch einige verwegene Schritte tiefer ins Neuland vorzuwagen als in seinen bisherigen Romanen und Erzählungen.

Sich treu geblieben ist der Autor in seiner Vorliebe für das Skurrile, für das Traumhafte und Phantastische, in seinem Hang zu kunstvollen Verrätselungen, im Schaffen dichter, oft unheimlicher Atmosphären. Aus früheren Romanen und Erzählungen bekannte Themen und Motive tauchen auch in dieser Sammlung auf, zum … Weiterlesen

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Türen ins Nichts: Andrea Breths wirre Collage „Ich hab die Nacht geträumet“

Ensemble-Szene mit (v. li.) Günther Weidmann, Rebecca MacCallion, Frank Michael Jork, Martin Rentzsch, Heidrun Schug, Sonia Wagemans, Tomoya Kawamura, Birgit Heinecke. (Foto: © Ruth Walz / Berliner Ensemble)

In einem alten Volkslied heißt es: „Ich hab die Nacht geträumet / wohl einen schweren Traum, / es wuchs in meinem Garten / ein Rosmarienbaum“. Der Kirchhof wird zum Garten, das Blumenbeet zum Grab, ein goldener Krug zerfällt in tausend Stücke: „Was mag der Traum bedeuten? / Ach Liebster, bist du tot?“ Diese wundersamen Zeilen haben die Regisseurin Andrea Breth bewegt und berührt.

Wäre es nicht spannend, der Welt der Träume, in denen alles möglich, das Leben stets gefährdet und der Tod ein ständiger Begleiter ist, auf den Bühnen-Grund zu gehen und … Weiterlesen

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Der Wolf ist da – und nun?

Auf dem roten Teppich: So taucht ein präparierter Wolf (rechts) im Naturmuseum auf – mit seinen „Nachfahren“, wie dem Deutschen Schäferhund (Mitte) und dem Bernhardiner. (Foto: Bernd Berke)

Anno 2000 tauchten erste Exemplare in der Lausitz (Grenze zu Polen) auf, 2018 wurde das erste Rudel in Nordrhein-Westfalen gesichtet – und im März 2022 hat der erste und bislang wohl einzige Wolf Dortmunder Stadtgebiet erreicht. Damit ist klar: „Der Wolf ist da, und wir müssen mit ihm leben.“ Das sagt Jan-Michael Ilger, Kurator am Dortmunder Naturmuseum, wo heute die Ausstellung „Wolfswelt – Die Rückkehr des Wolfes“ begonnen hat.

Die kleine Schau mit etwa 100 Exponaten besteht vor allem aus Infotafeln mit interaktiven Einsprengseln sowie aus Dioramen mit zahlreichen präpariertem Tieren, beileibe … Weiterlesen

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Ausstellung in der Dortmunder DASA knöpft sich „Konflikte“ vor

Diese Ausstellung beginnt buchstäblich bei Adam und Eva – präsent durch eine Gemälde-Reproduktion. Am biblischen Anbeginn der Menschheit erleben sie, wie unversehens Sünden und damit Konflikte in die Welt geraten. Mit Kain und Abel, die hier nicht direkt vorkommen, steuert schon die Frühzeit auf eine Eskalation zu.

„Gartenzwerg-Olympiade“ vor angriffslustigem Rot: Die Platzierung zeigt an, worüber sich Nachbarn in Deutschland am häufigsten vor Gericht streiten. (Foto: Bernd Berke)

Den schlichten Titel „Konflikte“ trägt die neue Schau in der Dortmunder DASA (Arbeitswelt Ausstellung). Sie kommt vom inhaltlich ähnlich gelagerten Museum der Arbeit aus Hamburg und zieht das Thema hie und da an Beispielen aus dem hohen Norden auf. Doch im Grunde bewegt sie sich auf universalem Gelände. Kurator Mario Bäumer hat … Weiterlesen

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„Fang einfach von vorne an“ – Enzensbergers „Leichte Gedichte“

Er war einer der bedeutendsten Dichter und Denker der Gegenwart. Im politisch und kulturell brachliegen Nachkriegsdeutschland erneuerte er die Lyrik und wurde zum Stichwortgeber unzähliger Debatten.

Oft war er Kandidat für den Literaturnobelpreis. Bekommen hat er ihn aber nie. Als er im vergangenen November im Alter 93 Jahren verstarb, hinterließ Hans Magnus Enzensberger ein gigantisches Werk. „Leichte Gedichte“ heißt sein neuer Band: Es ist ein lyrisches Vermächtnis.

Sich selbst verblüffen

Sich auf eine literarische Spielart festlegen, einer politischen Position treu bleiben: uninteressant. Eine Versammlung von „Best-Of“-Gedichten? Langweilig. Lieber etwas Neues, Unerwartetes, sich selbst verblüffen, das Publikum verzaubern mit „Leichten Gedichten“ in einer Zeit schwerer globaler Krisen. Das Kurzweilige und Lehrreiche, Unterhaltsame und Tiefgründige spielerisch verschmelzen, das war sein Ding.

„Lies … Weiterlesen

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Hauck & Bauer: So absurd wie unser Alltag

Das geht ja gut los: Auf dem Titel steht in rasch und nervös hingeworfenen Großbuchstaben: „Das schlechtestverkaufte Buch der Welt“. Was wohl gemeint ist?

Etwa der vorliegende Band, mit schwerironischem Masochismus oder aus Koketterie schlechtgemacht? Oder doch der, den eine Frau im Blümchenkleid im Schaufenster der Buchhandlung betrachtet und der da heißt: „Sie sind selbst schuld“? Wer wird einen solch unverschämten Anti-Ratgeber kaufen? Damit, so scheint es, werden quasi alle Bücher dieser Sorte in Zweifel gezogen. Das muss man erst einmal so knackig hinbekommen.

Wir befinden uns sofort mitten in der auch sonst vertrackt-hintersinnigen Welt von Hauck & Bauer, die sich seit Schulzeiten kennen und zuerst mit ihren vertikalen Strips „Am Rande der Gesellschaft“ in der FAZ-Sonntagszeitung (FAS) bekannt geworden … Weiterlesen

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Schamlose Klangfarben: Der Dirigent Klaus Mäkelä triumphiert mit Berlioz in der Essener Philharmonie

Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris in der Essener Philharmonie. (Foto: Sven Lorenz)

Klaus Mäkelä ist einer jener Shooting-Stars, die in der Klassik-Szene gerade willkommen sind. Denn die alte Garde der Dirigenten tritt allmählich ab und in der mittleren Altersgruppe sind charismatische Figuren rar.

Da steht er also zum ersten Mal am Pult der Essener Philharmonie, der 27 Jahre alte Finne Klaus Mäkelä, weltweit bei großen Orchestern gefragt und in vier Jahren Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouworkest. Man fragt sich: Ist es das Marketing, das die Aura erschafft? Oder baut der Ruf auf Ausstrahlung und Können auf? Bei seinem Kölner Debüt mit Mahlers Sechster am Beginn der Spielzeit 2022/23 hätte man Mäkelä gewünscht, mehr Zeit und Reife mitbringen zu können. … Weiterlesen

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„Johann Holtrop“ und das große Geld – Uraufführung nach Rainald Goetz‘ Roman in Düsseldorf

Szene aus „Johann Holtrop“ nach dem Roman von Rainald Goetz. (Foto: Tommy Hetzel)

„Die Zeit liegt fern wie hinter einem Rauch“, heißt es in Bertolt Brechts Dreigroschenoper. So seltsam nebelverhangen und entrückt kommt sie einem vor, die Zeit des Turbokapitalismus und der Finanzkrise, die Zeit der gierigen und verantwortungslosen Manager, die einfach mal eine Firma in den Abgrund reißen, mit den Schultern zucken und sich das nächste Opfer suchen. Die Zeit der Wendegewinnler und Thomas Middelhoffs, die jetzt in Stefan Bachmanns Inszenierung von „Johann Holtrop“ nach dem Roman von Rainald Goetz am Düsseldorfer Schauspielhaus (Koproduktion mit dem Schauspiel Köln) wiederauflebt.

Der Egomane wirkt gar nicht mehr so krass

Seitdem ist einfach zu viel passiert: Coronakrise, Krieg in der Ukraine, Erde … Weiterlesen

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Im 100. „Schreibheft“: Vergessene, verkannte, verschollene Autorinnen und Autoren

Kürzlich ist die einhundertste Ausgabe der Literaturzeitschrift Schreibheft erschienen. Zu diesem Anlass hat der Schriftsteller Frank Witzel einen umfangreichen Essay verfasst, mit dem Titel „Von aufgegebenen Autoren – 100 Vergessene, Verkannte, Verschollene“.

Mit einigen der darin auftauchenden Namen erinnert der Autor an die inzwischen 46-jährige Geschichte der Zeitschrift. An Ernst Müller beispielsweise, der nicht nur in der legendären Rowohlt-Reihe das neue buch, sondern auch in den Schreibheft-Ausgaben 18 und 19 (beide aus dem Jahr 1982) veröffentlicht wurde, oder auch an den in ganz frühen Heften mehrfach vertretenen Uli Becker. Ein Wiedersehen mit Emil Szittya gibt es, dessen Buch Das Kuriositäten-Kabinett von 1923 in einer schönen Ausgabe 1979 im Verlag Clemens Zerling neu aufgelegt wurde, von dem sonst aber wenig auf … Weiterlesen

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Beispiel Dortmund: Mit Karstadt schwinden auch Erinnerungen

Ansicht des Dortmunder Karstadt-Kaufhauses – im August 2016. (Foto: Bernd Berke)

Betrübliche Nachricht: Mitte 2023 und Anfang 2024 sollen 52 Warenhäuser der Galeria Karstadt Kaufhof GmbH schließen; darunter am 31. Januar 2024 das Karstadt-Warenhaus in Dortmund, nachdem Jahre zuvor schon der örtliche Kaufhof aufgeben musste, von anderen Anbietern gar nicht mehr zu reden. Damit wird für viele alteingesessene Menschen in Dortmund auch eine (Kindheits)-Erinnerung verblassen.

Die Älteren kennen das Haus an der zentralen Innenstadt-Kreuzung Hansastraße/Westenhellweg noch als „Althoff“. So hieß das Haus bis in die frühen 1960er Jahre. Theodor Althoff hatte den Vorläufer im Jahr 1904 eröffnet – damals eine veritable Sensation. Das größte Kaufhaus in Westfalen (5000 Quadratmeter Verkaufsfläche) beschäftigte rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als allererstes deutsches Warenhaus … Weiterlesen

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Frühling für Hitler: Musical „The Producers“ nach Mel Brooks als rasanter Spaß in Hagen

Einmal eine große Nummer im Showbiz sein: Davon träumt der Buchhalter Leo Bloom (Alexander von Hugo) im Musical „The Producers“ nach einem Film von Mel Brooks. (Foto: Björn Hickmann)

Achtung, bitte anschnallen, fasten seat belts. Hier geht die Post ab, hier geht’s um Geld und Glamour und die Grenzen des guten Geschmacks. Das Theater Hagen startet mit dem Musical „The Producers“ durch, als wolle es einen Rekord für das schnellste Bühnenspektakel der kommenden fünf Spielzeiten aufstellen. Diesen überdrehten Spaß wird so schnell niemand überholen.

„Frühling für Hitler“ war der deutsche Titel der Vorlage, eine Filmkomödie von Mel Brooks aus dem Jahr 1968. Das Musical erzählt die Geschichte vom Broadway-Produzenten Max Bialystock , den der Erfolg verlassen hat. Sein Buchhalter Leo … Weiterlesen

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Wenn das Ungeheuerliche alltäglich wird, gewöhne dich (nicht) daran…

Einbahnstraße zum Pfandhaus. (Foto: Bernd Berke)

„Gewöhn dich nicht. Du darfst dich nicht gewöhnen.“

So lauten zwei Gedichtzeilen Hilde Domins. Doch liest man die Gazetten, hier im Ruhrgebiet vor allem die der Funke Mediengruppe, oder sieht fern (also weder weit noch tief), dann lautet der einem jetzt überall entgegenschlagende Imperativ: „Gewöhn dich endlich. Du sollst dich gewöhnen!“

Unter dem Deckmantel journalistischer Objektivität (meist also: fehlender Haltung) werden die Welt-Erklärungen aus den oberen Etagen einer sich selbst zur Elite stilisierenden Geld- und Machtkaste an das Wahlvolk durchgereicht. Nur wenige Journalisten/Formate versuchen, der Meinungsmache in oder außerhalb medialer Blödmaschinen etwas entgegenzusetzen. Lieber bleibt die Journaille im Mitläufer-Pulk, gebiert unaufhörlich neoliberale Kopflanger, jene Tuis, die Brecht einst so beschrieb: „Der Tui ist der … Weiterlesen

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