„Johann Holtrop“ und das große Geld – Uraufführung nach Rainald Goetz‘ Roman in Düsseldorf

Szene aus „Johann Holtrop“ nach dem Roman von Rainald Goetz. (Foto: Tommy Hetzel)

„Die Zeit liegt fern wie hinter einem Rauch“, heißt es in Bertolt Brechts Dreigroschenoper. So seltsam nebelverhangen und entrückt kommt sie einem vor, die Zeit des Turbokapitalismus und der Finanzkrise, die Zeit der gierigen und verantwortungslosen Manager, die einfach mal eine Firma in den Abgrund reißen, mit den Schultern zucken und sich das nächste Opfer suchen. Die Zeit der Wendegewinnler und Thomas Middelhoffs, die jetzt in Stefan Bachmanns Inszenierung von „Johann Holtrop“ nach dem Roman von Rainald Goetz am Düsseldorfer Schauspielhaus (Koproduktion mit dem Schauspiel Köln) wiederauflebt.

Der Egomane wirkt gar nicht mehr so krass

Seitdem ist einfach zu viel passiert: Coronakrise, Krieg in der Ukraine, Erde am Abgrund durch den Klimawandel. Dass ein egomanischer Manager wie Holtrop durch demütigende Rausschmisse und herrschsüchtiges Verhalten derart Angst und Schrecken in einer Belegschaft verbreiten kann, kommt einem einfach nicht mehr so krass schlimm vor. Sehnte man sich doch nach dem x-ten Lockdown im Homeoffice fast schon nach einer niedlichen kleinen Büro-Intrige, Hauptsache man bekommt überhaupt einmal wieder einen Kollegen leibhaftig zu Gesicht – einschließlich derer, die man noch nie leiden konnte.

Ganz zu schweigen von Bomben, Panzern, Tod auf dem Schlachtfeld – das relativiert eindeutig verpasste Boni oder Karriereknicks. Deswegen bringt sich der Thewe (Ines-Marie Westernströer) um? Aus heutiger Sicht kaum zu glauben – wer sollte ihn auch ersetzen? Gibt ja keine Leute mehr und die Kita hat sowieso zu. Da würde der Thewe zum Holtrop sagen: „Du, tut mir leid, ich arbeite heute remote, meine Tochter ist sonst alleine, die Kita streikt mal wieder! Deadline? Nee, weiß ich noch nicht, ob ich das jetzt schaffe, wir sind ja auch schon seit drei Wochen erkältet, ich kriege den Husten gar nicht mehr los…“

Es kommen härtere Tage

Allerdings: Die Alpha-Manager in den bunten Anzügen sind in Stefan Bachmanns Inszenierung allesamt mit Frauen besetzt. Sie agieren in mit Schnüren abgetrennten goldenen Käfigen, beziehungslos zueinander oder spinnefeind – je nachdem. Alle sprechen in einer stakkatohaften, artifiziellen Schrei-Sprache, so wird das Ganze fast zur Choreografie.

Nicola Gründel gibt den Johann Holtrop manisch-depressiv im Wortsinn: Ein eiskalter, eitler Ego-Shooter, immer in Aktion, immer unter Strom, immer schon die nächste große Idee und das noch größere Geld im Kopf – bis er zusammenbricht und ganz im Goetzschen Sinne „irre“ wird. Doch auch die härtesten Elektroschocks und fiesesten Irrenärzte kriegen ihn nicht klein; das schafft nur der eigene Größenwahn, der in der totalen Pleite endet. Und ohne Geld ist Holtrop nichts.

Zuletzt hat keiner einen Ausweg aus dem goldenen Käfig gefunden. Brauchten sie auch nicht, denn sie sind längst Schall und Rauch. Fast sehnt man sich ein bisschen nach ihnen und ihren ausgedachten Dramen zurück. Wenn sie nur nicht so laut und schnell sprechen würden. „Chillt mal!“, möchte man ihnen zurufen, es kommen härtere Tage…

Termine: 17. und 30. März, 4. und 26. April, 19. Mai und 12. Juni. Karten und weitere Infos: www.dhaus.de

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 27 times, 1 visit(s) today
Dieser Beitrag wurde unter Theater abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert