Im Vollrausch durch die Techno-Szene – Rainald Goetz‘ wildwüchsiger Frontbericht „Rave“

Von Bernd Berke

Worum geht s eigentlich im Kern bei den Raves, jenen Endlos-Parties zu gewitternder Techno-Musik? Hören wir den 44-jährigen Veteran Rainald Goetz, der sich offenbar immer noch tapfer auf der Szene rumtreibt: „Mädchen kennenlernen. Drogen nehmen. Musik hören.“ Kommt einem bekannt vor.

Goetz weiß natürlich genau, wovon er redet, denn: „Ich ging hin und tanzte mit. Das Gefühl war toll.“ Geht’s vielleicht präziser? Aber ja: Es war – so Goetz – „schon hart. Aber irgendwie eben auch geil“.

Ist das der zeitgemäße literarische Sound der späten 90er Jahre? Oder stammelt da einer, der ein nahezu religiöses Erweckungs-Erlebnis gehabt haben muß und dem nun versierte Plattenaufleger („DJs“) wie Sven Väth oder Westbam als göttliche Wesen erscheinen? Jedenfalls durfte sich Goetz den Party-Gurus bis ins Allerheiligste nähern. Er stand gleich neben den Plattentellern – und er ruft dem Leser unablässig zu: „Ich war dabei“.

Immer sind sie die „Chefs im Exzeß“

Auf 271 Seiten seines wildwüchsigen, offenbar weitgehend unlektorierten Brachial-Buches „Rave“ nimmt uns der gleichsam „in Zungen“ redende Prophet Goetz mit durch die Techno-Clubs der Republik. Und er zeigt’s allen ahnungslosen Spießern mal so richtig. Denn er und seine weitverstreuten Cliquen sind, wie er auf Seite 224 stolz vermeidet, allemal „Chefs im Exzeß“.

Daran würde man nach der Lektüre nie zu zweifeln wagen. Denn mal hängen die Leute verdammt cool in München ab, dann wieder tanzen sie in Berlin bis zum nächsten Morgen – und gehen auch danach noch lange nicht auf ihre Zimmer, es sei denn zum Pim… nun ja, zur Triebabfuhr halt.

Und weiter geht’s: Mal werfen sie haufenweise Drogen in Köln ein, dann wieder saufen sie wie die Stiere in Frankfurt. Oder sie kombinieren gleich alle Rauschmittel. Auch Ibiza wird zwischendurch heftig heimgesucht. Echt stark, Alter!

Er kennt so viele schrille Leute 

Es dürfte schwerfallen, ein anderes Buch zu finden, dessen Personal sich mit Trunk, diversen Kräutlein und Chemie permanent so zielstrebig um den Verstand bringt wie hier. Prädikat: Zugeknallter geht s nicht. Seltsam nur, daß sich Goetz dermaßen über die Szene-Journalisten aufregt, die den Techno-Trends hinterherhecheln. Er selbst tut ja im Grunde nichts anderes.

Doch der Autor, der den Lesern schon so knallharte Bücher wie ,Irre“, „Krieg“ und „Kontrolliert“ vorsetzte, kennt so viele schrille Leute, also das gibt s gar nicht. Oftmals referiert Goetz den Saum des Wahnsinns streifende Dialogfetzen mit zahllosen Szene-Bekanntschaften, die immer hübsch namentlich aufgelistet werden (wobei die Mädchen meist als reichlich dusselige, aber zur Ausschweifung bereitwillige „Mäuse“ auftreten). Da lernt man, wie überaus „krass“ und „kaputt“ (Goetz-Zitat) es am Techno-Standort Deutschland zugeht. Freilich gibt’s trotzdem nichts Besseres: „Aber noch absurder und kaputter als jede noch so schlimme Drogenkaputtheit war natürlich generelle Abstinenz.“

Sprache zerhacken und in Trance fallen

Und so gerät das Buch streckenweise zur unreflektierten Feier sprachloser Trance. Es ist schon eine spezielle Art von Literatur. Seit sich der mit Gespür für Aufsehen begabte Ex-Medizinstudent Rainald Goetz vor Jahr und Tag beim Ingeborg-Bachmann-Autorenwettbwerb mit einer Rasierklinge die Stirn aufschlitzte, gilt er als Enfant terrible des belletristischen Betriebes.

Vielleicht läßt sich sein neues Werk ins beinharte Genre der Frontberichte eingliedern: Ganz früher erzählten die ergrauten Veteranen vom Weltkrieg, dann waren die 68er-Rebellen mit dem Prahlen an der Reihe, und jetzt sind eben die Techno-Heroen dran.

Phasenweise gelingt es Goetz, seiner atemlos zerhackten Sprache einen treibenden Rhythmus mitzugeben, der dem Thema durchaus entspricht und einen gewissen Sog ausübt. Doch die selbstgefälligen Endlos-Wiederholungen des „Ich war dabei“ zerren gehörig an den Nerven.

Rainald Goetz: „Rave“. Suhrkamp-Verlag, 271 Seiten. 38 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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