Gott benötigte sieben Tage, um Licht in die Dunkelheit zu bringen und die Welt zu erschaffen. Der norwegische Autor Jon Fosse braucht 1200 Buchseiten, um die Gnade Gottes zu erlangen, die düstere Welt eines von Schmerz und Leid gepeinigten Künstlers zu erhellen und ihm Erlösung zu schenken.
In Fosses „Heptalogie“, einem auf drei Bücher angelegten Roman-Zyklus, dreht sich alles um Werden und Vergehen, Leben und Tod des Malers Asle. Er ist Anfang sechzig, trägt, wie der Literaturnobelpreisträger, einen grauen Pferdeschwanz, und ist, wie Jon Fosse, zum Katholizismus konvertiert. Asle ist nicht nur das verfremdete Alter Ego des Autos, er hat auch selbst noch einen Doppelgänger gleichen Namens, der die dunkle Seite künstlerischer Kreativität und Selbstzerstörung verkörpert, dem Suff verfallen ist und in der Gosse landet. Der von Gott beseelte Asle findet den verwahrlosten Kollegen leblos in der Kälte.
Die „glücklichsten Stunden als Schriftsteller“, sagte Fosse in seiner Nobelpreis-Rede, habe er erlebt, „als der eine Asle den anderen Asle im Schnee findet und ihm so das Leben rettet.“ Überhaupt „habe ich schon immer gewusst, dass Dichtung Leben retten kann, vielleicht hat sie auch mir das Leben gerettet“, meinte Fosse und beendete seine Rede mit dem Bekenntnis: „Ich danke Gott.“
Die „Heptalogie“ ist der Versuch, „das Unsagbare herbeizuschreiben“, die „Stille“ zu beschwören, in der man „Gottes Stimme hören“ kann. Nach „Der andere Name“ und „Ich ist ein anderer“ nun also das Finale: „Ein neuer Name“. Doch es geschieht nichts Neues. Immer wieder sitzt Asle im Lieblingsstuhl seiner verstorbenen Ehefrau Alse, blickt über den Fjord, erinnert sich an wichtige Wegmarken und prägende Begegnungen in seinem Leben. Immer wieder fährt er über vereiste Straßen zu seinem Galeristen in die Stadt. Er bringt ihm seine letzten Bilder. Denn Asle ist leer gemalt und wartet auf Erlösung.
Jedes Kapitel der „Heptalogie“ beginnt mit fast den gleichen Sätzen: „Und ich sehe mich dastehen und das Bild mit den Strichen anschauen, einer ist lila, einer braun, sie kreuzen sich in der Mitte.“ Sie bilden das Andreaskreuz, weisen auf Gott, wie alles im Denken und Handeln des Malers Asle und seines Erfinders Fosse: „Ich sehne mich nur noch nach Stille, alle meine Gedanken sollen weg sein, und alle in meinen Erinnerungen angehäuften Bilder, die mich so plagen, sollen weg sein und ich will leer sein, einfach leer, ich will zu einem stillen Nichts werden, zu einem stillen Dunkel und vielleicht denke ich dabei ja an Gottes Frieden“, denkt Asle und betet den Rosenkranz, während seine Gedanken sich in einem endlosen Strom auflösen, sich überlagern und jedes Zeitgefühl verschwinden lassen.
Wie die Vorgänger, so ist auch „Ein neuer Name“ ein Rebellion gegen die Hektik der Moderne, eine Meditation über den Glauben und die Kunst als Gottes Gnadengeschenk. Jedes Kapitel der mit vielen Kommas, aber ohne jeden Punkt dahingleitenden Roman-Folge endet mit einem „Vaterunser“: „…dann sage ich immer und immer wieder, während ich tief einatme Herr und während ich langsam ausatme Jesus und während ich tief einatme Christus und während ich langsam ausatme Erbarme dich und während ich tief einatme Meiner“.
Alles wiederholt sich endlos in dieser vom mittelalterlichen Meister Eckhart inspirierten Reflexion über Glaube, Liebe, Hoffnung und die Allgegenwart Gottes. Nachdem er mit einem alten Fischerboot über den Fjord zu einer Insel übergesetzt hat, darf Asle endlich ein Leuchten in der Dunkelheit erblicken und dem Tod begegnen: „…und ich denke, ich, das, was in mir ich ist, kann niemals sterben, denn es ist nie geboren“.
Da geht es Asle wie dem namenlosen alten Mann, der – ohne zu wissen, warum – in sein Auto steigt, losfährt, irgendwann in einen tiefen dunklen Wald einbiegt und sich festfährt, dort stundenlang im Schneetreiben umherirrt und schließlich „Ein Leuchten“ findet: Gemeinsam mit den halluzinierten Visionen seiner toten Eltern geht er „barfuß hinaus ins Nichts, Atemzug um Atemzug, und plötzlich gibt es keinen einzigen Atemzug mehr, nur noch die glänzende, schimmernde Gestalt, die in einem atmenden Nichts leuchtet, das jetzt wir atmen, von ihrem Leuchten.“ Die kurze Erzählung bringt die in der „Heptalogie“ vielfach variierte Suche nach Erkenntnis und Erlösung noch einmal auf den konzentrierten Punkt. Literatur als Gottesdienst, eine irritierende Herausforderung.
Jon Fosse: „Ein neuer Name“. Heptalogie VI-VII. Roman. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt, Hamburg 2024, 304 Seiten, 30 Euro.
Jon Fosse: „Ein Leuchten“. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt, Hamburg 2024, 78 Seiten, 22 Euro.
_____________________________
Zum Katholizismus konvertiert
Jon Fosse, geboren 1959 in Haugesund/Norwegen, wuchs auf einem Bauernhof auf. Seine Eltern waren Quäker. Ein Nahtod-Erlebnis in früher Kindheit prägt sein Leben und Schreiben bis heute. Der vom Glauben des mittelalterlichen Dominikaners Meister Eckhart genauso wie von den Seins-Philosophen Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein beeinflusste Autor konvertierte 2013 zum Katholizismus und betet jeden Tag, wie die Hauptfigur in seiner „Heptalogie“, den Rosenkranz. International bekannt wurde Fosse durch seine mehr als 30 Theaterstücke, die weltweit aufgeführt werden. Für seine Roman-Zyklen „Trilogie“ und „Heptalogie“ bekam der Autor viele Auszeichnungen, 2023 den Literaturnobelpreis. Fosse lebt heute in der Künstlerresidenz Grotten bei Oslo, in Frekhaug bei Bergen und im österreichischen Hainburg an der Donau.