Entdeckungen in der neueren Literatur Frankreichs – mit Büchern des Manholt-Verlages

Von Bernd Berke

Es gibt Verlage, die beeindrucken nicht nur durch einzelne Bücher, sondern durch anhaltend hohes Programmniveau. Die Rede ist hier von einem vergleichsweise kleinen Haus in Bremen: Der Manholt-Verlag hat sich auf neuere französische spezialisiert – auf moderne Klassiker, besonders aber auf hierzulande noch zu entdeckende Gegenwartsautoren.

„Träume von Räumen“ von Georges Perec (1936-1982) ist eine spannende „Spurensuche“ in unser aller Alltagsleben, die – welch seltene Legierung – formale Modernität und aphoristisch geschärften Witz verbindet. Es ist fast wie bei der Erschaffung der Welt: Vom leeren Raum ausgehend, schreitet die Untersuchung durch immer größere Einheiten fort – über Bett, Schlafzimmer, Wohnung, Haus, Straße, Viertel, Stadt und Land bis zum unendlichen All. Allein was Perec über unsere Formen des Wohnens oder die Absurdität von Staatsgrenzen bemerkt und welche Alternativen er zuweilen aus scheinbar naiven Fragen entwickelt, lohnt schon die Lektüre. Der fremde Blick auf das Allergewöhnlichste lehrt ein neues Sehen und Staunen. Das Buch ist geschrieben in einem gelassenen, unaufgeregten Stil, den die Übersetzung Eugen Helmlés offenbar sehr gut ins Deutsehe rettet.

„Ich glaubte, mich gut zu kennen. Ziemlich böse, aber vor allem ohne Biß. Irrtum. Ich habe Mutter erschlagen wie nichts“. – So beginnt Ludovic Janviers Buch „Ich, Ungeheuer“. Ein wahrhaft ungeheuerlicher Anfang. Was kann darauf noch folgen? Doch nur die Psychopathologie des Mörders. Die liefert Janvier (Jahrgang 1934) tatsächlich, aber wie! Streng aus Sicht und mit Worten dieses Mörders selbst, dessen ganzes wüstes Gestammel wir ertragen müssen und dem wir sogar „über die Schulter sehen“, wenn er die Leiche zersägt.

Der Mörder richtet seinen fahrig-chaotischen Wortschwall über sein total verkorkstes Leben in mal rasender, mal gedämpfter Ich-Bezogenheit an ein ungreifbares Gegenüber ~ vielleicht einen Psychiater, Kriminalisten oder Beichtvater, vielleicht auch an einen Teil seines gespaltenen Selbst. Doch es ist eine durch und durch „schwarze“ Beichte, die er hier ablegt – und ein durchweg abgründiges Buch. Janvier gleitet nie ins Moralisieren und selten in Zynismus ab. Er mutet dem Leser die extreme, verunsichernde Erfahrung zu, gleichsam als Richter einem „Monster“ (Originaltitel „Monstre, va“ – etwa: Monster, geh weg!) gegenüberzusitzen und – bei allem Abscheu vor der Tat – sein Urteil ständig zu überprüfen.

Emmanuel Bove (1898-1945) ist in Deutschland, besonders durch Peter Handkes Übersetzung von „Meine Freunde“ schon bekannter. Im Mittelpunkt seines mit feinster Menschenbeobachtung brillierenden Romans „Ein Junggeselle“ steht der angegraute Ex-Industrielle Guittard, dessen etwas theatralische Lebensgestaltung mit sanft gleitender, wenn auch letztlich erbarmungsloser Ironie als Kette von Peinlichkeiten bloßgestellt wird. Der Hagestolz verliebt sich in jedes weibliche Wesen, das auch nur in seine Nähe gerät. Ebenso unbeholfen wie wankelmütig und vor allem blind für seine eigene Wirkung, bildet er sich dabei alle (un)möglichen Kompliziertheiten ein…

Georges Perec: „Träume von Räumen“. 120 Seiten, 26 DM

Ludovic Janvier: „Ich, Ungeheuer“, 125 S., 26 DM

Emmanuel Bove: „Ein Junggeselle“, 157 S., 28 DM

Alle drei Bücher in Manholt-Verlag, Bremen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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