Konzeptlos in die documenta

Die documenta ist in vielerlei Hinsicht ein sehr, sehr merkwürdiges Unterfangen. Sie will Weltausstellung der Bildenden Kunst sein und liegt doch in der Hand nur eines Direktors. Sicher wird der seine Adlaten und Faktoten treiben, an ihm allein, so zeigt’s die Geschichte, bleibt aber der Ruhm oder Unruhm kleben. Und überdies: Eine „Weltkunst“ gibt es nicht. Niemand kann die Übersicht haben, und uns zu geben vermag sie auch keiner. Was sicher auch damit zutun hat, dass der Mensch, gemessen an den Zeitläuften, nur ein relativ enges Fenster bewusst mitbekommen kann. Steht man beispielsweise im Saft seines Lebens, das Grünzeugs hinter den Ohren ist fortgeschnippelt, und haben einen Mami und Papi nicht gerade im Buggy durch jede Ausstellung und die Kasseler Auen geschoben, startet man gegebenen- oder äußerstenfalls in der kunstleistungskursvertrödelten Oberstufe mit der ersten ernsthaften Beschäftigung in Sachen zeitgenössischer Kunst. Man schaut fünf Jahre später eine Ausgabe während des Studiums und, gesetzt den Fall man ist recht flott bei der Sache: Schon findet man sich im Berufsleben (nicht mehr) wieder, möglicherweise als Kritiker, und soll über eine solche Veranstaltung auch noch fundierte Aussagen verfassen.

Der Zeitpunkt, zu dem wir’s allerdings wirklich können, weil wir genügend Ausgaben gesehen haben, liegt immer schon in der fernen Zukunft. Sind wir jedoch dort erst einmal angelangt, verstehen wir den Betrieb nicht mehr, geschweige denn die Künstler und ihre Werke. Ein Blick in die Altherrentexte gewisser Autoren, vorzugsweise publiziert vom frakturierten Oberkopf am Main, reicht. Wie muss es erst sein und sich anfühlen, wenn man eine solche Veranstaltung als Curator in Chief auf die Beine zu stellen hat? Allein die historische Belastung, das Erbe der Großen seit den Fünfzigern, ist eine Qual für sich! Kein normaler Mensche möchte mit Carolyn Christov-Bakargiev (CCB) tauschen, die ihre Ausgabe für 2012 vorbereitet. Was alles ist zur vergangenen Veranstaltung gegen die Buergelmaschine in Stellung gebracht worden. Nun, geschadet hat ihm das mediale Debakel nicht. Heute ist er ganz professoral. Vielleicht kann man dem nur entkommen, indem man nicht einfach nur Unsinn macht bzw. viel dummes Zeugs präsentiert, daherredet, proklamiert und nebenbei auch noch Künstler düpiert, vielleicht muss es genau so sein, wie CCB es jetzt zelebriert: Ein Feuerwerk des reflektierten Schwachsinns. Denn so dämlich wie die jetzigen Beiträge der Kuratorin in der Öffentlichkeit sind, so geplant irrsinnig muss das sein. Ein Interview mit Noemi Smolik in Frieze d/e, Heft 1, Sommer 2011, offenbarte die pathologisierende Wirkung des Jobs auf diese kunstsinnige Multiplikatorin.

Was für ein Dialog! Der beginnt mit dem Zauber der Dialektik. Nordpol. „Die Welt sieht ein bisschen anders aus, wenn man den Blickwinkel derart verlagert“, kratzt die Chefin ihre Miles and more im Hirn zusammen und präsentiert den Humbug der Öffentlichkeit, die scheint’s für jeden Pup als Mülleimer herzuhalten hat. Denn für eine derartige Erkenntnis benötigt niemand Polarluft und muss sicher nicht tonnenweise CO2 qua Flugzeugabgas in den Himmel pumpen. Es ist nicht ganz klar, was kuratorische Arbeit mit CCBs Nordfahrten zutun hat. Aber das muss es auch nicht, denn sie ist ja irgendwie selbst die Künstlerin, diejenige, welche ein großes Werk namens documenta 13 zu realisieren, aufzuführen hat. Begleitet sie Künstler bei ihren Recherchen? Frau Smolik fragt leider nicht danach. Oder ist derartiges Geplänkel mittlerweile das verbale Initialritual für ubiquitäres Bullshit-Bingo im „kritischen“ Sektor des Kunstbetriebs? Jedenfalls formiert sich am Pol ein großes Experiment mit unbekanntem Ausgang. Die documenta. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2011, und die Verantwortung sei Segen und Bürde zugleich, sagt CCB. Dabei ist es doch vollkommen gleichgültig, was sie präsentiert: Dass die Besucherzahlen jedoch kontinuierlich gestiegen sind, lässt eigentlich vermuten, dass die Beschwernis nicht allzu groß ist. Es wird schon, liebe CCB, keine Bange. Der Kunstrubel rollt weiter. Na ja, und irgendwie wird vor diesem Hintergrund auch verständlich – gewissermaßen –, warum Du so viel Murks erzählst. Etwa über das Konzept.

Denn nach diesem eiskalten Vorgeplänkel kommt sie wirklich zur Sache. Besser: Sie kommt natürlich nicht zur Sache, sondern nur zum Konzept, und die d13 soll keines übergestülpt bekommen. Denn Konzepte überschatteten heute die „Arbeit der Kultur“. Was aber ist die? Seit wann geht die Kultur auf Arbeit? Und wenn ja, wo? Eine Ausstellung konzeptlos zu gestalten hieße für sie, möglicherweise „in einer sehr guten Kunstmesse zu enden“. Ist das so? Ist eine Messe tatsächlich konzeptlos? Das wird Herrn Hug oder wen auch immer doch extrem ärgern, und es ist beinahe schon verwunderlich, dass die Macher der Frieze solch unreflektierte Hirnsoße gestatten. Zum Glück tun sie das, nicht nur der Pressefreiheit wegen. Denn hier geht es um mehr als nur den schnöden Alltag in einem gesellschaftlichen Subsystem mit postfeudalistischen und protooligarchischen Zügen. Konzept heißt gemäß Duden unter anderem, einen klar umrissenen Plan zu haben. Ist das so verkehrt mit Blick auf ein derartiges Mammutprojekt? Wie sich die documenta finanziert? Keine Ahnung, aber sollte auch nur ein Cent meiner Steuern in das Vorhaben fließen, so kann man erwarten, dass sich die Dame auf ihren Hosenboden setzt und gefälligst ihre Hausaufgaben macht, sprich: ein tragfähiges Konzept einer Ausstellung entwickelt und begründen kann, warum sie diesen oder jenen Künstler eingeladen hat und andere nicht. Was ihr Blick auf die Gegenwartskunst ausmacht, woran er sich orientiert. Und so weiter… Doch vielleicht brütet CCB etwas ganz anderes aus, und wir verstehen ihre Worte (noch) nicht. Alles denkbar, alles möglich, denn sie sagt ja auch, dass die documenta eigentlich keine Ausstellung ist.

Das Dumme an der Sache ist nicht, dass CCB gewagte Thesen in den Raum wirft. Das sollte zur d13 auf jeden Fall passieren. Allerdings sollten nicht die Pfade des Bewusstseins verlassen werden. Zum Verzweifeln ist’s bei dem absolut hirnrissigen Vergleich zwischen dem Konzept einer Ausstellung wie der d13 und Facebook. Sie behauptet: „Hier überschattet das Konzept des Kommunizierens den Inhalt dessen, was kommuniziert wird, und schafft so narzisstische Störungen in der Gesellschaft.“ Der Vergleich zwischen dem Konzept einer Kunstausstellung und der scheinbaren Funktions- und Wirkweise einer Internetplattform verbietet sich. Außerdem ist diese FB-Interpretation sachlich falsch. Der formalisierte Rahmen, der die Kommunikation über das Internet erlaubt, ist letztlich flexibel genug, um ein enormes Quantum herkömmlicher Kommunikation zu gestatten. Eben jene unterstellten narzisstischen Störungen ereignen sich bei bereits Veranlagten, aber nicht in Form einer direkten, monokausalen Konsequenz, wie es CCB suggerieren möchte. Diese Hinrichtungsargumente, die gerade nicht argumentieren, wollen der Technik eine Schuld zuschreiben, die verkennt, dass es keinen Schuldigen gibt, selbst Herr Zuckerberg ist keiner. Was CCB hier übertreibt, ist falsch verstandene Medientheorie der frühen Neunziger. Wer also möchte von offensichtlich ignoranten, ganz deutlich uninformierten Pseudokünstlern eine Ausstellung im Format der documenta serviert bekommen? Was kann denn da erscheinen? Vielleicht ist es de facto so, dass man als Kurator der Kasseler Über-Veranstaltung heute tatsächlich wie ein Künstler agieren muss. Vielleicht führt am Nordpol kein Weg vorbei. Vielleicht ist Kassel auch wirklich nicht der eigentliche Veranstaltungsort dieser Schau und vielleicht versteht man ferner den Humor dieser Kaste von künstlichen Kunstmultiplikatoren nicht mehr. Aber was aus dieser Wortblubberei zu lesen ist, das reicht, um einem die Lust zu verderben: einerseits am Betrieb, andererseits an der Ausstellung. Und das zu bemerken, ist keine Frage der Häufigkeit des Besuchs.

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2 Antworten zu Konzeptlos in die documenta

  1. Holger Karsch sagt:

    Liebe Charlotte, herzlichen Dank! Leider werde ich erst im August in Kassel auflaufen. Hoffentlich ist dann noch nicht alles verblüht. Bin auch schon sehr gespannt. Gern lasse ich mich überraschen, aber meine tiefe Skepsis lässt mich nicht los. Sicherlich schreibe ich an dieser Stelle von den Erlebnissen… Einstweilen herzliche Grüße, Holger

  2. Charlotte Lindenberg sagt:

    Hallo Holger, zur Zeit deines inzwischen fast ein Jahr alten Artikels waren wir uns überwiegend einig: Solang ich auf verbale Verlautbarungen angewiesen war, nahm meine Einschätzung von Christov-Bakargievs Konzept apokalyptische Züge an.
    Bis letzten Donnerstag.
    Inzwischen habe ich die daraus resultierende Ausstellung zweimal heimgesucht – erst zur Preview, und letzten Sonntag habe ich eine VHS-Gruppe mitgenommen.
    Fazit: Vergiss, was du im Vorfeld gehört & gelesen hast, und guck dir die Exponate an. ES LOHNT SICH. Erstaunlicherweise entschlüpfte dem Gedankengut der 1980s New Age-Bewegten eine der interessantesten documentas, die ich seit Nummer 7 (1982) bestaunt habe. Daher freu ich mich auf zwei weitere Besuche.
    Aber deinen Artikel von damals fnde ich nachwievor lesenswert.
    Bleib wie du bist.

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