„Aus“ für die Rundschau-Redaktion: Dortmund und das Umland verlieren ein Traditionsblatt

Jetzt ist es offiziell, die Essener WAZ-Gruppe hat eine radikale Sparmaßnahme ergriffen: Die 580.000-Einwohner-Stadt Dortmund und ihr Umland verlieren mit der Westfälischen Rundschau (WR) eine einstmals stolze, traditionsreiche Zeitung. Rund 120 Redakteurinnen und Redakteure sind betroffen, außerdem zahllose freie Mitarbeiter.

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Auch wenn der Titel (als bloßes Etikett) erhalten bleibt, so kommen die Inhalte ab Februar nur noch von anderen. Den Mantelteil liefert die WAZ, diverse bisherige Konkurrenten steuern die lokalen Inhalte bei. Sogar die Dortmunder Lokalredaktion, ein bislang noch verbliebenes Herzstück des Blattes, wird aufgelöst. Die „WR“-Lokalteile für Dortmund, Lünen und Schwerte liefern künftig die Ruhr-Nachrichten. Allein einen solchen Gedanken hätte man früher weit von sich gewiesen. Unna und Kamen werden vom „Hellweger Anzeiger“ bedient. Im Märkischen Kreis wird die künftig nur noch so genannte „Westfälische Rundschau“ lokal vom Märkischen Zeitungsverlag (Verleger Dirk Ippen) gestaltet, Arnsberg und Hagen werden komplett von der Westfalenpost übernommen. Die WP soll auch aus Wetter/Herdecke und Ennepe-Süd berichten und dazu sogar eine neue Lokalredaktion aufbauen. Es sieht also ganz so aus, als wäre die WP konzernintern eine (un)heimliche Profiteurin des WR-Verfalls.

Meine persönliche Konsequenz wird sein, eine formal und inhaltlich derart gestückelte Zeitung, ja den journalistischen Bastard, der auf diese Weise entsteht, schleunigst abzubestellen.

Man sagt nicht zu viel, wenn man feststellt: Damit wird die WR endgültig Leib und Seele verlieren, sie wird zur Zombie-Zeitung. Der frühere Geist der Redaktion hatte sich ohnehin schon Hauch um Hauch verflüchtigt. Das Betriebsklima am Dortmunder Brüderweg und in den restlichen eigenen Lokalredaktionen war, wie man vielfach hörte, in letzter Zeit zunehmend angespannt.

Ich habe heute einige Anrufe von früheren WR-Kollegen bekommen, natürlich sind alle mehr als betrübt, teilweise völlig niedergeschlagen, ohnmächtig wütend, zutiefst erschüttert. Bewusst habe ich es vermieden, meinerseits Betroffene anzusprechen. Ich wäre mir wie ein nachrichtengieriger „Witwenschüttler“ vorgekommen. Man kann es ja wahrlich nachfühlen, wie vor allem den Kolleg(inn)en über 45 zumute ist, die vielleicht keine andere Stelle mehr finden werden, aber auch noch nicht nah genug am Rentenalter sind. Von sozialverträglichen Lösungen ist nun die Rede, von Abfindungen, die freilich nicht mehr so großzügig ausfallen dürften wie vor vier Jahren, als im Rahmen von „Strukturänderungen“ 300 Journalisten die WAZ-Gruppe verließen. Auch sollen den Betroffenen bevorzugt Stellen angeboten werden, die bei der WAZ frei werden – allerdings nur in den größten Glücksfällen nah beim bisherigen Wohnort. Wenn überhaupt.

Das Volontariat eingerechnet, habe ich etwas über 30 Jahre für die Westfälische Rundschau gearbeitet, davon rund 27 Jahre in der Kulturredaktion. Es war vor allem die Zeit der Chefredakteure Günter Hammer (bis 1988) und Frank Bünte (1988-2004), danach kamen in atemloserer, ja schließlich fast schon panischer Folge Klaus Schrotthofer (2004-2007), Kathrin Lenzer (2007/2008) und Malte Hinz (ab Dezember 2008), zum Ende hin ein „König“ ohne nennenswerte Ländereien.

Aber das sind nur dürre Daten und Fakten. Selbstverständlich bin ich mit dem Blatt emotional verbunden – auch wenn ich es vor fast genau vier Jahren verlassen habe. Ein Großteil meines – nicht nur beruflichen – Lebens hängt daran. Ich habe in und um Dortmund nicht nur viele fähige und freundliche Kolleg(inn)en getroffen, sondern habe auch meine Frau bei der WR kennen gelernt.

Die am 20. März 1946 neu lizensierte WR, die vor allem früher als SPD-nah galt, verstand sich als Nachfolgerin des Dortmunder „Generalanzeigers“, der 1933 von den Nazis geschlossen (bzw. mit einer NS-Gazette zwangsvereinigt) worden war und außerhalb von Berlin die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung gewesen sein soll. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Zeiten, da hatte die Westfälische Rundschau ein Verbreitungsgebiet, das bis ins Emsland und – von Dortmund aus südwärts – bis in den Nordzipfel von Rheinland-Pfalz reichte. Der spätere NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement war in den besseren Jahren ebenso WR-Redakteur wie der investigative Journalist Hans Leyendecker, heute seit etlichen Jahren bei der Süddeutschen Zeitung. Seit 1975 gehörte die Rundschau zur WAZ-Gruppe. Stück für Stück schmolz der „Beritt“ zusammen, bis immerhin noch das westfälische Ruhrgebiet, Sauer- und Siegerland als Kernbereiche übrig blieben.

In den letzten Jahren bröckelten auch die südwestfälischen Gebiete, die Zeitung machte angeblich Millionenverluste. Man konnte das Unheil, das sicherlich nicht zuletzt durch Management-Fehler herbeigeführt wurde, schrittweise kommen sehen…

P.S.: Soeben den WAZ/WR-Leserservice in Sachen Abokündigung angerufen. Warum ich denn kündigen wolle, es bleibe doch alles wie bisher… Am liebsten wäre ich sehr grob geworden, doch die Dame im Callcenter kann ja auch nichts dafür, dass offenbar solche idiotischen Sprachregelungen ausgegeben werden.

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(mit Nachrichtenmaterial von dpa, finanznachrichten.de, kress.de , newsroom.de und meedia.de)

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LINK-SAMMLUNG (je nach Bedarf laufend aktualisiert)

Hier wird für den Erhalt der Zeitung demonstriert (Samstag, 19. Januar, 11 Uhr, ab Rundschauhaus am Brüderweg 9 in Dortmund): https://www.facebook.com/events/132643046896868/

Bei medienmoral-nrw.de kann diskutiert werden: http://www.medienmoral-nrw.de/2013/01/wr-redaktion-wird-abgewickelt/

Hier steht eine Online-Petition: http://rundschau-retten.de/

Hier eine Stellungnahme des Deutschen Journalistenverbandes (DJV): http://www.djv-nrw.de/php/evewa2.php?d=1358258319\&menu=01001&NEWSNR=1798&GSAG=1b8313e66e4b2e665040fab5a083083d

Stellungnahme der SPD (mit 13,1% Miteigentümer der WR), deren Medienholding angeblich im Vorfeld nicht informiert war und deshalb rechtliche Schritte prüfen will: http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2013-01/25695368-erklaerung-des-unternehmensbereichs-der-spd-zur-heutigen-mitteilung-der-waz-zur-aufloesung-der-eigenstaendigen-redaktion-der-westfaelischen-rundschau-wr-007.htm

Ein kritischer Bericht bei www.horizont.net: http://www.horizont.net/aktuell/medien/pages/protected/Seelenlose-Redaktionsklempnerei-WAZ-steht-wegen-Kahlschlag-bei-Westfaelischer-Rundschau-am-Pranger_112382.html

„Der Fisch stinkt vom Kopf“, schreibt Bülend Ürük bei newsroom.de: http://www.newsroom.de/news/detail/$HVIUEOMULROS/westflische_rundschau_ein_flickwerk_von_einer_zeitung

Die Sicht der „Rheinischen Post“: http://www.rp-online.de/wirtschaft/unternehmen/westfaelische-rundschau-wird-aufgegeben-1.3135415

So steht es bei Spiegel online: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/westfaelische-rundschau-waz-gruppe-streicht-redaktion-120-stellen-a-877623.html

Die TAZ schreibt: http://www.taz.de/Westfaelische-Rundschau/!109070/

Und so berichtet der WDR in seinem Online-Auftritt: http://www1.wdr.de/themen/medienseite/westfaelischerundschau100.html

Ein sehr persönlich gehaltener Beitrag bei den „Ruhrbaronen“: http://www.ruhrbarone.de/westfaelische-rundschau-du-bist-zeitungskrise/

Der frühere WR-Cheferedakteur Frank Bünte hat sich in der „Lokalzeit“ des WDR-Fernsehens geäußert: http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2013/01/16/lokalzeit-dortmund-rundschau.xml

Hajo Jahn blickt in die ganz alten Zeiten der WR zurück: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18665

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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13 Antworten zu „Aus“ für die Rundschau-Redaktion: Dortmund und das Umland verlieren ein Traditionsblatt

  1. Klaus Lohmann sagt:

    Jetzt, wo der historische Werdegang der WR häufiger erwähnt wird, kann ich mich auch wieder an die End-Siebziger erinnern, als mir als damals strammer SPD-Fanboy die auch äußerliche Vereinnahmung der WR durch die WAZ bewusst wurde. Und ähnlich wie beim angeblichen „Strukturwandel“, dem eigentlichen Raubbau des Ruhrgebiets durch die mächtigen Industriefamilien der Niederrhein-Schiene, hab ich ebenso gedacht: „Schei.e, was müssen die bekloppten Essener wieder ihre Schmierfinger in unser Revier reinhauen..“.

    Dass das dann noch über 40 Jahre dauern würde, bis die Niederrheiner wieder mal eine einstige Hochburg des Reviers ganz kaputt gemacht haben, wäre mir aber damals nicht in den Sinn gekommen.

  2. uk sagt:

    Was ein perfider Plan: Redaktion rausschmeißen, Inhalte zukaufen, Name bleibt. Wer will so ein Blatt? Niemand.

  3. Gerhard Hausen sagt:

    Eiskalt wurde die Westfälische Rundschau von den WAZ-Gewaltigen in Essen in den letzten Jahren „zurückgebaut“. Meinungs- und Zeitungsvielfalt spielte für die untauglichen Manager mit ihren fürstlichen Gehältern keine Rolle und die Gesellschafter freuten sich angesichts der Sparmaßnahmen der letzten Jahre immer mehr über satte Gewinne, die im Gesamtkonzern von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwirtschaftet wurden.
    Um die Skeptiker in den Redaktionen und in der Politik zu beruhigen, wurde die Initiative „Lokal-Offensive“ vorgegaukelt, in der auch der ehemalige stellvertretende Chefredakteur Frank Fligge eine neue Heimat fand. Der sang bei Facebook sogar das „hohe Lied“ auf den Lokaljournalismus, doch alles blieb nur ein Lippenbekenntnis. Nichts ist geschehen, obgleich schon 2010 über 85 Prozent befragter Zeitungsleser angab, dass sie Zeitungen wegen lokalen Berichten aus Ort und Umgebung lesen. Die Zahl der an lokalen Inhalten interessierten L…eser ist von 2003 zu 2010 sogar gestiegen. Doch das interessiert im WAZ-Konzern niemanden!
    Und die Masche des Konzerns ist immer die gleiche: wie in den letzten Jahren so wurde auch dieses Mal die WR-Chefredaktion um Malte Hinz überhaupt nicht über die Einstellung der WR informiert – er wurde eiskalt abserviert. Wie ein dummer Junge muss der sich vorgekommen sein. Wie schon bei der Schließung der WR-Lokalredaktion in Siegen, wo ihn die Verlagsleitung mit vollendeten Tatsachen konfrontierte!
    Mit der Schließung der WR-Redaktionen und einer Zeitung ohne Redakteure machen die WAZ-Gesellschafter jetzt richtig Kohle: Da kommt große Freude auf!!!! Bei solchem Euro-Regen denkt niemand an die 120 Kolleginnen und Kollegen, die nun auf der Straße stehen! Und die sind noch schlechter dran als diejenigen, die dem ersten „Großreinemachen“ in allen Redaktionen zum Opfer gefallen sind.
    Die WR muss aufgrund der Zeitungsvielfalt in NRW mit eigenen Redaktionen erhalten bleiben. Eine Alternative wäre ein Gesundschrumpfen der WR durch die Einstellungen unrentabler Lokalausgaben. Aber am Stammsitz in Dortmund, wo die WR noch eine bedeutende Rolle spielt, sollte sie mit einer kompletten Redaktion erhalten bleiben! Gemeinsam mit der Politik sollten wir dafür kämpfen und notfalls auf die Straße gehen!!!!

  4. Dirk Vogel sagt:

    Lieber Bernd, da hast du einen sehr persönlichen und gleichzeitig sehr guten Text geschrieben!

  5. Bernd Berke sagt:

    Ja, diese Essener Kaltschnäuzigkeit kann einen sprachlos machen. Aber dabei darf es möglichst nicht bleiben.

  6. Nadine Albach sagt:

    Ich bin sprachlos, hatte ich doch gehofft, dass es nie so weit kommen würde.

  7. Sylke Herberholt sagt:

    bitter, bitter…ich habe schon in der bremerstraße die zeitungsluft an den großen heidelberg-maschinen schnuppern dürfen, ebenso noch die aufnahmen der korrespondenten auf schallplatten erlebt und selbst längere zeit am brüderweg agiert…
    dortmund ist als sechst- (bis achtgrößte) stadt der bundesrepublik deutschland ein dörrland publizistischer tätigkeit und ein weiterer schritt in die fehlende, reflektierte selbstwahrnehmung ist geebnet…..bitter!

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