Rückkauf für Dortmund – ein lange verschollenes Gemälde und viele Geschichten

„Wir sind jetzt heiß geworden“, sagt Klaus Fehlemann mit leicht ironischem Beiklang. Wenn ein distinguierter Mensch wie Dortmunds ehemaliger Stadtdirektor sich so kräftig ausdrückt, dann muss wohl etwas besonders Erfreuliches, ja Herzwärmendes geschehen sein; etwas, das möglichst eine Fortsetzung finden sollte…

Heinrich Nauens Bild "Sonnenblumen mit welker Kresse" (1924) enthüllt: Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann mit der Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner und Klaus Fehlemann (re.), Vorsitzender der Freunde des Museums Ostwall. (Foto: Bernd Berke)

Heinrich Nauens Bild „Sonnenblumen mit welker Kresse“ (um 1924), enthüllt: Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann mit der Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner und Klaus Fehlemann (re.), dem Vorsitzenden der Freunde des Museums Ostwall. (Foto: Bernd Berke)

Fehlemann ist heute Vorsitzender des Vereins Freunde des Museums Ostwall, welches sich bekanntlich im Dortmunder „U“ befindet. Dem Freundeskreis ist es jetzt gelungen, ein lange verschollenes, doch staunenswert gut erhaltenes Bild für Dortmund zurückzukaufen: Bis 1937 hatte Heinrich Nauens Gemälde „Sonnenblumen mit welker Kresse“ (entstanden um 1924) zur Sammlung des damaligen Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte am Ostwall gehört.

Unverhofft wieder auf dem Markt

Doch im August 1937 wurde das Stillleben des rheinischen Expressionisten Nauen (1880-1940) – wie so viele andere Kunstwerke in ganz Deutschland – von den Nazis im Rahmen einer schändlichen Maßnahme als „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und aus dem Museum entfernt. Nach einem erfolglosen Verkaufsversuch im Auftrag des NS-Propagandaministeriums verlor sich die Spur des Bildes für viele Jahrzehnte. Irgendwann muss es in niederrheinischen Privatbesitz gelangt sein.

Just im November 2015, also etwas über 78 Jahre nach der Beschlagnahme, tauchte das Werk unverhofft wieder auf dem Kunstmarkt auf. Der wertvolle Hinweis aufs Angebot einer Düsseldorfer Kunsthandlung kam von einem aufmerksamen Nutzer der Internet-Seite www.alfredflechtheim.com.

Zweifelsfrei echt

Dann ging alles sehr rasch: Sehr zügig konnte die erfahrene Dortmunder Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner das Bild zweifelsfrei identifizieren und zuordnen. Eine Schwarzweißfoto von 1926 wies die Richtung, auf der Gemälde-Rückseite war die passende, allzeit unveränderte Inventarnummer zu finden, auch die Signatur und weitere Merkmale stimmten.

Flugs handelten daraufhin auch die Freunde des Museums, die das – auch von anderen Interessenten ins Auge gefasste – Bild binnen 98 Stunden für eine Summe erwarben, über die Stillschweigen vereinbart wurde. Sie liegt „im unteren fünfstelligen Bereich“.

Heinrich Nauen: "Sonnenblumen mit welker Kresse", um 1924 (Museum Ostwall/Foto: Sascha Fuis Photographie, Köln)

Heinrich Nauen: „Sonnenblumen mit welker Kresse“, um 1924 (Museum Ostwall/Foto: Sascha Fuis Photographie, Köln)

Man mag unter ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten darüber sinnieren, warum für die Stadt ein Werk zurückgekauft werden muss, das ihr doch eigentlich gehört hat. In der Praxis geht es wohl nicht anders. Apropos Legalität: Die NS-Machthaber hatten die Beschlagnahmung der als „entartet“ verfemten Kunstwerke rein formaljuristisch durch ein Gesetz vorbereitet. Kaum zu glauben, was im Namen des (gebeugten) Rechts möglich war…

Alfred Flechtheims Verbindung zur Stadt

An das Bild knüpfen sich noch weitere Geschichten, beispielsweise diese: Es kam durch den damals wohl wichtigsten deutschen Kunsthändler nach Dortmund. Alfred Flechtheim betrieb avancierte Galerien in Düsseldorf und Berlin. Er war mit dem damaligen Dortmunder Museumsdirektor Prof. Braun befreundet, dem er auch manche Schenkung zukommen ließ.

Was wahrlich nicht allgemein bekannt ist: Sowohl Flechtheims Mutter als auch seine Frau stammten aus Dortmund. Da kann man geradezu in lokalen Zusammenhängen schwelgen: Ursprünglich Getreidehändler, hatte Flechtheim häufig an der Dortmunder Getreidebörse zu tun, der größten des Ruhrgebiets. Hier lernte er das Regionalgericht Pfefferpotthast schätzen. Auch zählte der Förderer des zeitweise weltmeisterlichen Boxers Max Schmeling Sportereignisse in der Dortmunder Westfalenhalle zu seinen liebsten Freizeitvergnügen.

Weitere Werke auf der Verlustliste

Zurück zu Heinrich Nauens farbkräftigem Bild, das sich bestens zum expressionistischen Schwerpunkt des Museums Ostwall und speziell zu vier bereits vorhandenen Nauen-Zeichnungen fügt. Dortmunds Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann sowie Regina Selter (kommissarische Leiterin) und Dr. Nicole Grothe (Sammlungsleiterin) vom Ostwall-Museum zeigten sich denn auch hoch erfreut übers vorweihnachtliche Bildergeschenk, das heute mit gemessener Feierlichkeit in der Restaurierungswerkstatt des Dortmunder „U“ enthüllt wurde. Medienleute mögen solche Momente. Irgendwie.

Thema erschöpft? Nein, immer noch nicht ganz: Schon lange zuvor sind drei Gemälde von Christian Rohlfs in die Stadt zurückgekehrt. Doch auf der Liste der 1937 beschlagnahmten und seither verschollenen Kunstwerke aus Dortmunder Besitz stehen noch weitere 7 Gemälde, 81 Grafiken, 25 Grafikmappen und eine Skulptur. Besagte Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner spürt übrigens nicht nur detektivisch den verschlungenen Wegen dieser Bilder nach, sondern versucht auch zu ermitteln, welche „Raubkunst“ die Stadt ihrerseits eventuell an rechtmäßige Besitzer bzw. deren Erben zurückgeben muss. Ein weites Feld.

So. Nun aber genug der vielfältigen Verzweigungen. Jetzt wollen Sie das Werk von Heinrich Nauen wahrscheinlich bald in Dortmund besichtigen, nicht wahr? Schade, aber das wird nicht gehen. Zuerst muss es restauriert und neu gerahmt werden. Es soll, so die bisherigen Pläne, erst nach der nächsten Umsortierung der Schausammlung zu sehen sein, so ungefähr im Frühjahr 2017. Vielleicht geht’s ja doch ein bisschen früher?

_____________________________________________

Ein Hinweis zur genaueren (vergrößerten) Betrachtung des Gemälde-Fotos findet sich hier.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 25 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Geschichte, Kunst & Museen, Politik und so, Region Ruhr abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert