Wundersamer Wunderknabe

Er hat alles unter Kontrolle. Die paar Schritte über die Bühne zum Klavier, das Lächeln, die Verbeugung. Und sein Spiel natürlich, das sich über die Strukturen der zu interpretierenden Musik definiert. Ernst wie ein Erwachsener wirkt der 19jährige Kit Armstrong, dieser wundersame Wunderknabe, dem noch so viel Kindliches anhaftet.

Sein größter, überzeugtester, bedeutendster Fürsprecher und Mentor ist Alfred Brendel, der die außergewöhnliche Begabung des jungen Eleven in höchsten Tönen hervorgehoben hat. Das kommt nicht von ungefähr: Die manuellen Fähigkeiten Kit Armstrongs und sein fast instinktives Erkennen musikalischer Verläufe sind von bestechender Aussagekraft.

Nun, wer mit 16 bereits ein abgeschlossenes Musik- und Mathematikstudium vorweisen kann, wer selbst komponiert, wenn auch in arg harmonischen Bahnen, dem dürften Gewissenhaftigkeit, ja die Logik des Interpretierens kaum fremd sein. Armstrong beweist dies beim Klavier-Festival Ruhr zu Ehren des nunmehr 80jährigen Alfred Brendel. Kristallin fließen dem Jungen dabei Bachsche Figurationen aus den Fingern, keine Wendung im polyphonen Geflecht bleibt unbeachtet – nehmen wir nur vier von ihm ausgewählte Präludien und Fugen.

Wer indes an diesem Abend in Mülheims Stadthalle von Kit Armstrong, der zwischen Bach und Liszt pendelt, bilderstürmerisches Aufbegehren eines wunderkindlichen Bühnentiers erwartet, wird enttäuscht. Der Interpret steht über der Musik, beobachtet, analysiert. Er ist nicht in der Musik, geht keine Risiken ein, um etwa der Lisztschen Ausdrucks-Opulenz, in der rauschenden Nr. 10 des großen Etüden-Zyklus, Gewicht zu geben. Mitunter wirkt es, als wolle der Pianist sich selbst Note für Note noch einmal bestätigen, was er doch längst im Kopfe abgespeichert hat.

Armstrong verströmt Disziplin, die in Perfektion münden soll. Er wirkt dabei wie ein Asket des Gefühls. Manche finden das spröde. Doch er macht uns staunen – so oder so.

(Der Text ist in kürzerer Form in der WAZ erschienen)

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