Tannhäuser im Christusgewand: Kay Voges inszeniert in Dortmund erstmals eine Oper

Elisabeth (Christiane Kohl) und Hermann, Landgraf von Thüringen (Christian Sist. Foto: Thomas M. Jauk/Theater Dortmund)

Elisabeth (Christiane Kohl) und Hermann, Landgraf von Thüringen (Christian Sist. Foto: Thomas M. Jauk/Theater Dortmund)

Venus spült in der Küche Geschirr, während Tannhäuser vor dem Fernseher gammelt. Er trinkt Dosenbier, zappt mit der Fernbedienung durch die vielen Kanäle. Auf Leinwänden flimmert an uns vorbei, was er sieht: Fußball, Wetten dass, Nachrichten, Syrien, der Wetterbericht, Sportschau, noch mehr Fußball. Tannhäuser hat genug. Er schaltet aus, wendet sich um und macht seinem Überdruss Luft. „Zuviel. Zuviel!“

Es kommt, wie es kommen muss: Richard Wagners Tannhäuser reißt sich auch in der neuen Version von Kay Voges vom Venusberg los. Aber Dortmunds Schauspielchef, der sich mit dieser Inszenierung erstmals in die Welt der Oper vorwagt, hat schon in der Ouvertüre ein Feuerwerk an Bildern und Ideen gezündet. Wie so oft, funktioniert das bei ihm über Videoeinspielungen (Daniel Hengst), die er zu Beginn des Stücks fast im Übermaß einsetzt. Indes ist die Bilderflut voller Hintersinn. Sie führt tief in das Spiel um Liebe und Erlösung hinein.

Gleich zu Beginn erblicken wir einen Tannhäuser mit Dornenkrone, ans Kreuz der Medien geschlagen. Aber Voges setzt die Titelfigur keineswegs mit Christus gleich, wie auch Elisabeth nicht einfach Maria ist und Venus nicht Maria Magdalena. Vielmehr schiebt er die Geschichten und Figuren wie zwei Folien übereinander. Er spielt mit den Unschärfen und Übereinstimmungen, die sich daraus ergeben, und spürt der Erlösungsproblematik nach, die Richard Wagner auch in anderen Werken umkreist. Wie in Scorseses Film „Die letzte Versuchung Christi“, den Voges hier zitiert, gibt es für Tannhäuser eine andere Möglichkeit als den Büßertod. Er könnte für immer mit Venus leben und sich weltlichen Genüssen hingeben. Doch Tannhäuser wählt die Pilgerfahrt und nimmt damit großes Leiden auf sich.

Voges, der die Eigenschaft besitzt, sich selbst nicht immer allzu ernst zu nehmen, durchbricht Wagners Weihe durch Momente von Witz und Leichtigkeit. Das Imponiergehabe der schrill gekleideten Wartburg-Sänger, die köstlich ironischen Kontrapunkte beim Aufzug der Festgäste bereiten Vergnügen. Aber nicht alles gelingt. Das erste Wiedersehen von Tannhäuser und Elisabeth wirkt trotz Einsatz der Drehbühne ratlos. Die Romerzählung wird vollkommen statisch vor einer Leinwand gesungen, die Tannhäusers Mimik in quälend langer Super-Slow-Motion zeigt.

Tannhäuser wird erst bedroht, dann verbannt (Daniel Brenna. Foto: Thomas M. Jauk/Theater Dortmund)

Tannhäuser wird erst bedroht, dann verbannt (Daniel Brenna. Foto: Thomas M. Jauk/Theater Dortmund)

Es ist ein Jammer, dass die Inszenierung musikalisch so schwach beglaubigt wird. Daniel Brenna ringt am Premierenabend schwer mit der Titelpartie. Seine Stimme wird bereits beim Abschied von Venus so rau, dass ein Abbruch der Vorstellung möglich erscheint. Sein Tenor klingt unstet, in der Höhe statisch oder flackernd, in der Romerzählung kurzatmig und deklamatorisch. Die Venus von Hermine May kennt dunkle Mezzo-Flammen, aber auch Schärfen und ein expansives Vibrato. Für den einzig wahren Lichtblick sorgt Christiane Kohl, die Elisabeth eine helle, leuchtende Sopranstimme mit klarer Diktion verleiht. Auch Christian Sist muss sich als Landgraf von Thüringen nicht verstecken. Gerardo Garciacano singt den Wolfram von Eschenbach steif und gaumig.

Die Dortmunder Philharmoniker spielen unter der Leitung von Gabriel Feltz Töne, ohne Musik zu machen. Sie bringen das Kunststück fertig, der Hallenarie jedes Strahlen und jeden Jubel zu nehmen. Feltz buchstabiert Choräle durch, seine Tempi sind blockhaft, sein Dirigierstil ist blutlos und akademisch. Oft klappert es vernehmlich zwischen Bühne und Orchestergraben. Die Chöre sind von Granville Walker solide einstudiert, verlieren im Fortissimo aber an Klangkultur.

Jammerschade dies, wie gesagt. Was hätte diese Produktion für ein Knaller werden können! Lange nicht mehr hat eine Dortmunder Premiere so starke und kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Heftige Bravorufe und wütende Buhs hielten sich die Waage.

Ob man den neuen Tannhäuser aber nun frech findet oder trashig, verrückt oder vielleicht sogar ein wenig blasphemisch: Respektlosigkeit vor Richard Wagners Werk ist Voges in keiner Weise vorzuwerfen. Eher wird ihm die Fülle seiner Gedanken zum Problem: Er hat sich gründlicher mit dem Stoff auseinander gesetzt als manche, die gerne behaupten, Wagners Willen genau zu kennen.

Sollte darin etwa ein Affront liegen? Wer etwas von Voges Inszenierung haben will, darf weder denkfaul sein noch erstarrt in der eigenen Meinung. Wer aber gerne tiefer blickt wird staunen, was der Opernnovize alles ans Licht holt.

(Informationen und Termine: http://www.theaterdo.de/detail/event/4134/)

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1 Antwort zu Tannhäuser im Christusgewand: Kay Voges inszeniert in Dortmund erstmals eine Oper

  1. Gerhard Stranz sagt:

    Natürlich sind die Autorinnen der Revierpassagen in ihren Einschätzungen frei. Dass es ganz unterschiedliche Reaktionen auf die Inszenierung des Tannhäusers von Kay Voges geben würde, war nicht nur zu erwarten. Es ist sogar aus meiner Sicht ein herausragendes Zeugnis dafür, dass die Oper lebt. Bereits in der Premierenveranstaltung waren – aus meiner Sicht – sehr viele jüngere Menschen und, entgegen der Einschätzung von Anke Demirsoy, wurden überwiegend positive Reaktionen deutlich. Die Buhrufe waren sehr gering. Mitnichten hielten sich die Reaktionen „die Waage“.

    Deutlich wurde mir, dass alle Beteiligten, mit denen ich nach der Premiere sprach, sich an einzelnen, durchaus unterschiedlichen Teilen „Anstoß nahmen“, das gilt auch für mich, aber die Oper insgesamt als herausragend und empfehlenswert bezeichneten.

    Diese Rückmeldungen erhielt ich unter anderem auch von den Teilnehmenden eines Probenbesuchs, die in der Woche vor der Premiere in die Werkstatt der Erarbeitung hineingeschnuppert hatten.

    Insofern ist es auch verständlich, dass sich Kommentatoren/Kommentatorinnen sehr unterschiedlich mit der Inszenierung auseinandersetzen und diese „besprechen“.

    In besonderer Weise erscheint mir jedoch die Kommentierung von Anke Demirsoy in den „Revierpassagen“ beachtenswert und gleichzeitig fragwürdig, zumal sie in Bezug auf die musikalische Leistung der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz zu einer Bewertung kommt, die für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist.

    Entgegen ihrer Einschätzung haben die Philharmoniker ein dynamisches Fundament gelegt und bereits mit der Ouvertüre eine Differenziertheit vorgestellt, die im Laufe der Oper über den gesamten Zeitraum eine nie endende Spannung gehalten hat.
    Ich habe, bis auf das Votum von Frau Demirsoy eigentlich keine anderen Einschätzungen wahrgenommen.

    Vor diesem Hintergrund frage ich mich, was bei Frau Demirsoy zu dieser Einschätzung geführt haben könnte.
    Veilleicht sollte sie sich auch mal auf die Ebene der Dortmunder Philharmoniker selber begegnen, um die neue emotionale Kraft und Qualität des musikalischen Ausdruckes verstehen zu lernen.

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