„Lass mich nicht allein mit ihr“ – das auf Dauer schwer erträgliche Ego-Theater des Tex Rubinowitz

Tex Rubinowitz ist ein großer Bewunderer „kapriziösen Ego-Theaters“. Davon leben zu können, das wäre es doch. Den Rest der Zeit könnte er dann sicher auf der Couch verbringen, wo „alles den Serienfiguren passiert und nicht ihm“.

Um nichts anderes geht es in „Lass mich nicht allein mit ihr“, dem neuen Buch des Ingeborg-Bachmann-Preisträgers: um Thesen von und über Tex Rubinowitz. Wer jetzt stutzt und sich fragt: Wer will das denn lesen? Ist das nicht arg langweilig? Dem sei gesagt: Ja, es ist langweilig, jedenfalls über die Länge eines Romans. Wobei das Buch auch wohl nur in Ermangelung einer treffenderen Klassifizierung Roman genannt wurde.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Es geht um die Befindlichkeiten des nicht mehr ganz so jungen Rubinowitz. Der gute Mann ist nicht nur Schriftsteller, er blickt auch auf ein ergiebiges Wirken als Zeichner, Cartoonist, Reisejournalist zurück. Wenn er nicht gerade ein Schriftsteller-Stipendium in London absitzt, lebt er in Wien.

Was ist schon Wirklichkeit?

Tex Rubinowitz ist ein Pseudonym, in Wirklichkeit heißt er ganz anders, aber was ist schon Wirklichkeit? Musikkritiken für den Spiegel schreibt er auch noch und dann war da noch ein Plagiatsskandal um seinen letzten Roman. Oder war es etwa nur eine geschickte Inszenierung? Wer von all dem bisher keine Kenntnis hatte, der weiß nun Bescheid. Darüber und über vieles andere mehr. Zusammenfassbar unter „alles, was Sie nie wissen wollten und nun doch gelesen haben“.

Unser Autor nun befindet sich in einer veritablen Schreibkrise und spielt zunächst alle Stufen des beliebten Gesellschaftsspiels Prokastrination durch. Da strickt man einen Plot um einen Schädel im Wald, klappt nicht so recht, dann philosophiert man ein bißchen über Abba und Pedro Almodóvar; nicht, dass noch einer denkt, man wäre nicht vielseitig interessiert. Schön wäre aber auch eine Liebesgeschichte mit Vorabendserien-Diva Anja Kruse, was den Autor ruckzuck zu seinem verstorbenen Kollegen Abdul bringt, der einen eigenartigen Tod starb, autoerotische Anekdoten inclusive.

Verwirrspiel um Identitäten

Und überhaupt dieser Abdul. Der hat Rubinowitz gestalkt, mehr noch, er hat alles dafür getan, wie Rubinowitz zu sein. Alles wusste er über ihn und plötzlich ist man sich gar nicht mehr sicher: Ist der Autor tatsächlich selber der Ich-Erzähler oder lässt er nicht vielmehr Abdul so tun, als wäre der Stalker der Autor, der hier von einem Gedankenstrang zum anderen mäandert?

So weit, so leider zäh das inszenierte Verwirrspiel um Identitäten. Bei aller Bemühtheit gelingt es Rubinowitz nicht, dieses Sujet um eine neue Variante zu erweitern. Wohlwollend könnte man sagen, das Thema des Romans ist die Suche nach einem Thema. Weniger wohlwollend könnte man es auch unter „regressive Luxusprobleme“ verschlagworten.

Was tut man nicht alles, um eine Schreibblockade zu rechtfertigen und vor allem, um sich selber in einem interessanten Licht darzustellen? Seine eigene Exzentrik möchte er vor allem in den imaginierten Begegnungen mit der Schauspielerin hervorheben, doch beim Leser reicht es so gerade eben zu Mitleid mit der zur Projektionsfläche mutierten Frau Kruse. Humorvoll wäre er gerne, albern trifft es eher.

Auf Sascha Lobos Deckel trinken

Weltgewandtheit und Bildung stehen noch auf der Liste der Dinge, die Rubinowitz zur Vervollständigung des Bildes braucht, das der Leser sich bitte von ihm machen soll. Dafür arbeitet er sich schnell noch an Daniel Kehlmann ab, das machen sie ja alle gerne, die so gerne DIE Stimme deutscher Gegenwartsliteratur wären. Nicht zu vergessen: Auf den Deckel von Sascha Lobo darf er trinken. Na prima. Glückwunsch dazu. Auch eine Leistung.

Einen Protagonisten aber gibt es, der Leistung erbringt: den Lektor. Geplagt, aber geduldig erklärt er dem um minimalistischen Aufwand bemühten Autor „Du hast nichts zu erzählen“. Letzen Endes seien es nur „eklektizistische Splitter“, die er da zustande brächte. Der Autor versteht das alles, er sieht es durchaus ein, alleine – er macht nichts draus. Aus Unlust? Aus Unvermögen? Aus purer Faulheit? Aus dem Wunsch heraus, der Literaturbetrieb wird es schon richten, es wird sich schon jemand finden, der auch das Abstruseste noch hochjazzt?

„Logik ist für Langweiler“

Richtiggehende Bewunderung zeigt der Schriftsteller für die Technik des unzuverlässigen Erzählens, da greift schließlich auch die Entschuldigung „Logik ist für Langeweiler“. Eine beliebte Rechtfertigung, arg simpel zwar, aber man kann es ja mal versuchen. Hätte der Lektor ihm besser mal gesagt, dass der Leser nicht gelangweilt werden will, statt „der Leser will nicht bevormundet und nicht verarscht werden“. Unzuverlässiges Erzählen verzeiht ein Leser, aber was Rubinowitz in seinem Buch macht, ist allenfalls ein schwadronierendes Spiel mit „alternativen Fakten“. Passt immerhin zum Zeitgeist und zum Fake-News-Gegröle.

Die eigentliche Tragik des Buches liegt aber vor allem in der Länge. Rubinowitz kann durchaus unterhaltend schreiben. Zunächst ist das Ganze wirklich noch witzig, man liest es gar nicht so ungern, es gibt spitz formulierte und fein beobachtete Gegenwartsbetrachtungen, die durchaus Spaß machen.

Zunächst amüsiert man sich auch noch über die Selbst-Rechtfertigungen, wenn er auf den Plagiatsskandal eingeht, der von ihm selber gelenkt gewesen sei. Die fraglichen Wikipedia-Einträge habe er unter noch einem Pseudonym selbst verfasst, auch die Berichterstattung darüber hat er selbst geleakt, Letztendlich hat er sich also nur selbst kopiert. Wir verstehen. Oder auch nicht. Ist irgendwann aber auch völlig gleichgültig. Denn spätestens nach der dritten Rechtfertigung, nach der vierten Phantasie einer Verabredung mit Anja Kruse ist man es leid.

Tex Rubinowitz: „Lass mich nicht allein mit ihr“. Rowohlt, 288 Seiten, 19,95 €

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 15 times, 1 visit(s) today
Dieser Beitrag wurde unter Buchmarkt & Lesen, Literatur abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert