„Stilvoll und lichtdurchflutet“ – Maklerdeutsch ist pure Poesie

Wer sich auf Wohnungssuche begibt, der lernt nach und nach die sprachlichen Bemäntelungen kennen, die in der Maklerzunft üblich sind. Sie lassen sich in manchen Punkten mit den notdürftig beschönigenden Formeln in Arbeitszeugnissen vergleichen.

Hier wie da werden Texte nach Baukastenprinzip aus Standardfloskeln gefügt. Hier wie da verständigt man sich gleichsam im ironisch gebrochenen Modus mit kaschierten Hintergedanken. Es gibt sozusagen eine imaginäre Interlinearversion, die den eigentlichen Sinn enthält.

Damit driftet das Genre der Immobilien-Annonce in literarische Gefilde. Nicht, dass jemand von Rosstäuscherei spreche! Nein, hier sickert Poesie in den tristen Alltag, die Makler schildern uns in herzerwärmenden Worten die herrlichsten Idyllen.

Der Befund ist gewiss nicht neu – und doch staunt man immer wieder über die Chuzpe, pardon, über die dichterische Freiheit, mit der hier die Tatsachen aufs Prächtigste verwandelt werden.

So ahnt man ja längst, dass eine Bleibe, die „mit inneren Werten“ angepriesen wird, just der äußeren Werte ermangelt, sprich: Es herrscht umfangreicher Renovierungsbedarf. Ähnliche Unbill verheißt die Formulierung, bei diesem Objekt könne der Mieter/Käufer seine Phantasie spielen lassen. Dann erfordert es enorme Vorstellungskraft, sich die Behausung als bewohnbar auszumalen. Ähnliches gilt, wenn vom „Potenzial“ einer Wohnung die blumige Rede ist.

Hier schmieden sie betörende Texte... (Foto: Bernd Berke)

Hier schmieden sie betörende Texte... (Foto: Bernd Berke)

Im gängigen Maklersprech kehrt eine an sich schon hübsch-hässliche Vokabel häufig wieder, nämlich „stilvoll“. Damit werden beileibe nicht nur Jugendstilfassaden, Stuckornamente oder dergleichen historische Reminiszenzen bezeichnet, sondern das nostalgische Anwandlungen evozierende Wort wird nahezu wahllos ausgestreut. Selbst die triste Baulichkeit lädt in dieser Lesart „zum Verweilen ein“.

Zu den Klassikern im Maklerianischen, die man geradezu liebgewinnen kann, zählt natürlich „lichtdurchflutet“. Das Wort benennt eigentlich alles, was nicht eben stockfinster ist. Jedes Fensterlein erfährt damit seine Würdigung. Kurzum: Die frei fabulierende Maklersprache lehrt uns, auch die kleinen, unscheinbaren Dinge wieder zu schätzen. Obwohl: Was heißt denn hier klein? Eigentlich ist ja per se immer alles „großzügig“. Darunter tun sie’s nur höchst ungern.

Aus immer gern genommenen Versatzstücken lässt sich – fast ohne näheres Ansehen einer konkreten Wohnung – eine idealtypische Anzeige generieren. Ich probier’s mal:

„Absolute Rarität: Repräsentative, lichtdurchflutete XYZ-Zimmer-Wohnung mit besonderem Charme, rundum stilvoll, äußerst großzügig geschnitten. Ruhig und doch zentral gelegen, optimal angebunden. Parkähnliches Grundstück in bevorzugter, gehobener, durchgrünter Lage in Waldnähe, traumhafter, unverbaubarer Fernblick mit idealer Südwest-Ausrichtung. Mit viel Liebe zum edlen Detail aufwendig und hochwertig kernsaniert. Gönnen Sie sich den Luxus, Sie haben es sich verdient: Diese Wohnung besticht mit einzigartigen Elementen, wird höchsten Ansprüchen gerecht und lässt keine Wünsche offen…“

Na, und so weiter. Doch wehe, wenn man die Hütte besichtigt.

Selbstverständlich beschränkt sich die Flunkerei nicht auf die Sprache, sondern setzt sich kongenial in der Bebilderung fort. Man muss das Geschick bewundern, mit dem unliebsame Schattenseiten ausgeblendet werden. Und man kann im Umkehrschluss mutmaßen: Was nicht im Bild auftaucht, liegt wohl besonders im Argen. Die Defizite ließen sich beim besten Willen nicht mehr ausbügeln, also ließ man sie kurzerhand weg.

Aber was soll’s? In allen Zweifelsfällen tritt eh dieser klein gedruckte, doch eherne Kernsatz in Kraft: „Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben wird keine Haftung übernommen.“

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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