Der Tod trennt Künstlerduo Fischli & Weiss

In den Bergen  c Fischli&Weiss

Miniaturlandschaft aus Kissen: "In den Bergen". c Fischli&Weiss

Was passiert eigentlich in meiner Wohnung, wenn ich nicht da bin? Gibt es sie dann überhaupt noch? Existiert sie? Je fantasieloser ein Mensch ist, umso weniger werden ihn solche Fragen interessieren. Jener Mensch, Anhänger des Feststellbaren, des Zählbaren und des Verwertbaren, wird auf solche Fragen vielleicht mit einem verständnislosen Blick antworten und dann weitergehen. David Weiss hat sie gestellt, zusammen mit seinem Künstlerpartner Peter Fischli. Beide haben noch andere, bedeutungslosere Fragen gestellt. Rund tausend sind es in ihrer Installation „Fragen Projektion“, die 2003 in Venedig den Goldenen Löwen auf der Biennale erhielt.

„Gold“ also für Fragen, die jedem mal spontan durch den Kopf gehen, die harmlos wirken, aber sich in der Seele festbeißen wie böse Ungeheuer. Denn niemand weiß wirklich, was in einem Zimmer passiert, wenn die Tür zu und der Beobachter draußen ist. Die fundamentale Skepsis gegenüber einer wie auch immer gearteten fraglosen Welt-Erkenntnis; dieses Misstrauen gegen die fröhlichen Annahmen, die uns das Grauen über die Abgründigkeit des Daseins verdrängen helfen – die haben Peter Fischli und David Weiss auf beinahe beiläufige Weise gepflegt.

Wie Schlangen gleiten in der Biennale-Installation von 2003 die Fragen von Fischli & Weiss über eine schwarze Wand. c Fischli&Weiss

Wie Schlangen gleiten in der Biennale-Installation von 2003 die Fragen von Fischli & Weiss über eine schwarze Wand. c Fischli&Weiss

Und sie haben den Fragen zu jenem Gewicht verholfen, das ihnen akademische Philosophie, tiefschürfende Theologie, grübelnde Kunsthermeneutik nicht mehr zu geben vermochten. So leichthin das Fischli & Weiss–Buch „Findet mich das Glück“ als amüsantes Partygeschenk durchging: Wer das Schweizer Duo auf dieser Ebene verortet, der hat wohl ihre Bedeutung auch lediglich am Rang 26 auf der 2012er Kunst-Bedeutungs-Liste des „manager magazins“ festgemacht

Am 27. April ist David Weiss, der ältere der beiden Künstler, in seinem Zürcher Haus an einer Krebserkrankung gestorben, im Alter von nur 65 Jahren. Kennen gelernt hatten sich die beiden, wie es verschiedentlich zu lesen war, in der Punk- und Anarcho-Szene, in Zürichs damals bekannter Kontiki-Bar. Der Bildhauer David Weiss hat in seiner Heimatstadt Zürich den Vorbereitungskurs der Kunstgewerbeschule durchlaufen und anschließend in Basel studiert. Weiss war viel unterwegs, arbeitete mit dem Fotografie- und Performance-Künstler Urs Lüthi zusammen, mit dem er in Zürich studiert hatte.

Seit 1979 verband David Weiss und Peter Fischli, die sich selten interviewen ließen und ihre Biografien dem öffentlichen Zugriff entzogen, eine enge Zusammenarbeit. Sie begann mit einer spielerisch anmutenden Aktion, die wie ein kreativer Witz an einem bierseligen Abend wirkt: Sie modellierten Alltagsszenen aus Wurststücken und -scheiben, die sie für eine „Wurstserie“ von Fotografien posieren ließen.

"Modenschau" aus "Wurstserie" von Fischli&Weiss

"Modenschau" aus "Wurstserie" c Fischli & Weiss

 

Ähnlich schwankend zwischen naiv anmutendem Witz, kindlicher Kreativität, hintergründiger Ironie und schlagartig aufbrechender Abgründigkeit ist eine Figurenlandschaft mit dem Titel „Plötzlich diese Übersicht“ aus dem Jahr 1981: Etwa 250 ungebrannte Tonfiguren sind aufgebaut wie auf einer Modelleisenbahn-Platte. Wer sich in das Labyrinth der Figürchen und Mini-Szenerien begibt, mag sich wie ein „Übertourist“ vorkommen, wie ein über einer Welt schwebender Geist. Doch der Zwang, sich auf das Einzelne, auf das Detail zu konzentrieren, zerstört genau das, was der Titel der Arbeit behauptet: Die Übersicht geht verloren, man weiß nicht, wo man in dem Gewirr steht. Sich zu orientieren, fällt schwer.

Wer unwillkürlich beginnt, einen Zusammenhang zu konstruieren, dem wird mit Titeln wie „beliebte Gegensätze“ eine Systematik suggeriert, die sich im nächsten Moment wieder in Frage gestellt sieht. Auf der Suche nach der „Übersicht“ tappt der Betrachter nämlich ständig in die Falle des Augenblicks. Das zu vergessen hilft ihm der Witz einzelner Skulptürchen. Und das leise Grausen, das einen bei Szenen wie „Im Keller“ oder „Strangers in the Night“ beschleicht, löst sich bei der nächsten Detailstudie in reines, heiteres Schmunzeln auf.

Fischli und Weiss schaffen es in dieser Installation, die Fragwürdigkeit der Welt, der Begriffe und der Sinneseindrücke leise, doch nachhaltig ins Bewusstsein zu rücken. Sie nutzen dazu nicht die offensichtliche Provokation, nicht die grübelnde Verschlüsselung, nicht die pathetische Aufladung mit Symbolwert. Ihre Methode schafft Zusammenhang. Der wirkt nicht selten leichthinnig, spielerisch, unabsichtlich. Er nutzt zum Beispiel den geistigen Trieb des Betrachters, der entdecken, gliedern, systematisieren will. Nicht der schockierende Kontrast ist das Mittel des Künstlerduos, sondern eher ein verhaltenes, aber anhaltendes Bohren.

Ihren Durchbruch erlebten die beiden mit ihrem Film „Der Lauf der Dinge“ auf der documenta Kassel 1987. In diesem Jahr erhielten sie auch ihren ersten größeren Auftrag für die alle zehn Jahre stattfindende Ausstellung  „Skulptur Projekte Münster„. Fischli & Weiss schufen einen verkleinerten Dutzendware-Büroblock, Repräsentant einer banalen Alltagswelt, eine „Ikone mittelständiger Macht und Prachtentfaltung“, so die Künstler. Spätestens seit ihrer Teilnahme an der 46. Biennale Venedig 1995 waren sie in allen großen Kunstmuseen der Moderne unterwegs. Skulpturen, Filme, Installationen, Projektionen wurden gezeigt, zum Beispiel die Fotoserie „Airports“ mit ihrer kaum zu beschreibenden Mischung aus banal und unheimlich, vertraut und befremdlich. Oder ihre Polyurethan-Skulpturen: Sie geben Alltägliches wieder, aber die beiden Künstler nannten eine Sechserserie 1985 „metaphysisch“.

Vertreten von der Matthew Marks Gallery in New York, sind Fischli und Weiss mit ihren Werken in bedeutenden Museen präsent, vom Museum of Modern Art New York bis zur Tate Modern in London; natürlich auch im Kunstmuseum Zürich und anderen Schweizer Sammlungen. In Deutschland besitzen etwa die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, das Museum im Hamburger Bahnhof in Berlin, das Ludwig Forum in Aachen und der Skulpturenpark Köln Werke des Duos.

Die Hamburger Deichtorhallen 2008 und die Sammlung Goetz in München 2010 zeigten die letzten großen deutschen Einzelausstellungen; 2011 waren im Art Institute of Chicago Fischli & Weiss‘ klassische Werke zusammengefasst. Erst am 29. April ging im Folkwang Museum Essen die Ausstellung „Der Mensch und seine Objekte“ zu Ende, bei der ebenfalls eine ihrer Arbeiten gezeigt wurde. Der Biennale-Beitrag von 1995, „Arbeiten im Dunkeln“, ist ab 12. Mai in Wolfsburg in der Ausstellung „Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg. Ausgewählte Werke von Carl Andre bis Sergej Jensen“ zu sehen. Dass durch den Tod von David Weiss dieses einzigartige Zusammenwirken zu Ende ist, schmerzt. „Muss ich mir den Tod vorstellen wie eine Landschaft mit einem Haus, in das man hineingehen kann, und wo ein Bett steht, in dem man schlafen kann?“, lautete eine der Fragen der Biennale-Installation. David Weiss wird sie jetzt beantworten können … .

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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