Wenn Kubas alte Männer in die Saiten greifen… – Der Film „Buena Vista Social Club“ von Wim Wenders

Von Bernd Berke

Gute Musik ist wie das Leben: Quell aller Freuden, Born jeder Traurigkeit. Mit WimWenders entdecken wir nun einen aus unserer Sicht weithin unerforschten Kontinent der Klänge. Sein Film „Buena Vista Social Club“ macht uns mit einigen kubanischen Musikern und ihrer Welt vertraut. Von Stund‘ an wird man diese Töne nicht mehr missen mögen.

Der Film gerät zum Plädoyer gegen ästhetische Nivellierung auf anglo-amerikanischen Verschnitt und gegen Jugendlichkeitswahn im PopGeschäft: Wenn diese vitalen alten Herren des „Buena Vista Social Club“, mehrheitlich zwischen 70 und 90 Jahre alt, zu singen beginnen, wenn sie in die Saiten und Tasten greifen, vergißt man alles andere. Es ist eine rare Ansammlung von Könnern, die wir einzeln und als Gruppe erleben. Ihre Lieder haben einen ganz eigenen Swing, einen speziellen Blues, besonderen Schmelz.

Vor allem aber diese Menschen: diese lebenssatt zerfurchten, wahrhaft würdevollen Gesichter eines Compay Segundo, eines Rubén Gonzalez, eines Ibrahim Ferrer, einer Omara Portuondo! Jene Mischung aus Entspanntheit, verhaltener Kraft und unbeugsamer Lebensfreude, die jeden Ton einhüllt und beglaubigt.

Diskret auf den Spuren der Könner

US-Gitarrist Ry Cooder, begnadeter Stil-Verwandlungskünstler, der die fast schon vergessenen Musiker noch einmal triumphal zusammenholte und sich zu staunenswerten Sessions mit den Kubanern zusammenfand, hat wohl daran getan, seinen Freund Wim Wenders auf diese Entdeckung aufmerksam zu machen.

Wim Wenders und sein kleines Team sind auf den Spuren des „Social Club“ durch Havanna gestreift und haben dort gleichsam den Wurzelgrund dieser Musik aufgespürt: Armut und Verfall, Volksfrömmigkeit und Stolz. In diesem Umfeld klingt alles authentisch, weil (noch) nicht nur für eine diffuse „Weltmusik“ vereinnahmt.

Wenders wahrt die Diskretion, er rückt den Musikern nicht forsch zuleibe, sondern umkreist sie mit großem Respekt. Trotz dieser Vorsicht hat man das Gefühl, dass man ihnen sehr nahe kommt.

Wir begleiten sie ins Aufnahmestudio, zu Konzerten nach Amsterdam und – Verpflanzung in eine andere Welt – in die ruhmreiche New Yorker Carnegie Hall. Es war der ganz große und zugleich letzte Auftritt dieser Formation. Wehmut schwingt im Finale mit: Wird es je wieder eine solche Musik geben? Und welch ein Erfahrungsschatz schwindet dahin, wenn diese Leute nicht mehr leben .. .

Auch dies wird im Verlauf des Films klar: Fidel Castros Kuba ist reichlich marode, die jahrzehntelange US-BlockadePolitik hat die Insel schwer getroffen. Doch die Musik, die hier gedeiht, reicht ungleich weiter und tiefer als alle Ideologien. Und wer (Achtung, Werbebotschaft!) nach diesem Film die gleichnamige, mit einem Grammy-Preis gekrönte CD verschmäht, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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