Marionetten der Politik – Sartres Stück „Die schmutzigen Hände“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Brutalstmögliche Aufklärung“ versprach das Premieren-Transparent draußen vor dem Wuppertaler Schauspielhaus. Die Formel des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Koch kennt man inzwischen zur Genüge, sie ist zum geflügelten Wort der politischen Sümpfe geworden.

Und was wird unter solchen Vorzeichen in Wuppertal aufgeführt? Jean-Paul Sartres 1948 geschriebenes Stück mit dem vielsagenden Titel „Die schmutzigen Hände“.

Der fiktive Balkanstaat Illyrien ist anno 1943 von Deutschen okkupiert. Die Kommunistische Partei des Landes hat sich gespalten. Die einen setzen auf Partisanenkampf, die anderen auf taktische Kompromisse mit der erzreaktionären Regierung, damit sie schon an den Hebeln der Macht sitzen, wenn einst die Rote Armee einmarschiert.

Wie die Parodie eines Gangsterfilms

Den jungen Intellektuellen Hugo (Thomas Höhne), der bislang nur das Parteiblatt redigiert hat, drängt es aus innerer Leere zur (existenzialistischen) Tat. Er ist „zu allem bereit“, auch zum Mord am führenden Parteifunktionär Hoederer (Siegfried W. Maschek), der sich mit den herrschenden Mächten einlassen will. Hugo wird als Sekretär bei Hoederer eingeschleust, die Pistole steckt im Gepäck.

In Wuppertal (Regie: Volker Lösch) wird der Mord sogleich schon einmal als einmal als Knalleffekt vorweggenommen, ganz plakativ unterm sozialistischen Händedruck-Banner. Sodann müsste die Anatomie der Tat folgen, doch man hat zunächst den Eindruck, hier werde eine etwas alberne Gangsterfilm-Parodie geliefert.

Hoederers Leibwächter ergehen sich in Slapstick-Szenen, ihr Schutzbefohlener hantiert immerzu mit Wodka-Flaschen. Andauernd wird hastig geraucht. Zu all dem erklingt Musik aus Quentin Tarantinos Kinofilm „Pulp Fiction“ – Hinweis auf einen Standpunkt über aller Nervosität, auf einen abgeklärten Umgang mit alltäglich gewordener Gewalt?

Manischer Irrsinn mit Stühlen

Hugo, oft in unechten Posen befangen, und seine Frau Jessica (Tessa Mittelstaedt), ein erotisches Luder, treiben derweil ihr Spielchen mit Bestandteilen des einprägsamen Bühnenbilds (Cary Gayler), das von einem raumgreifenden Konferenztisch-Bogen beherrscht wird. Immer wieder verrückt Jessica die Stühle, und Hugo stellt sie dann wieder in die starre alte Ordnung. Ein Hin und Her der Temperamente, ein manischer Irrsinn.

Die Figuren scheinen überhaupt allesamt Getriebene zu sein, ihrer eigenen Bewegigründe nicht gewiss, geradezu marionettenhaft. Und aus solch unbegriffenem Gefühls-Chaos soll jemals politische Kraft erwachsen?

Nur Hoederer hat das Spiel der Macht durchschaut, aus dem man nicht mit reinen Händen hervorgehen kann. Siegfried W. Maschek zeigt eine facettenreiche Figur: melancholisch, illusionslos, geistig flexibel bis zum Zynismus, den Zwiespalt aller Worte geradezu auskostend. Doch so unabweisbar lebensecht klingen letztlich seine Argumente, dass auch Hugo ihnen erliegt – bis er Hoederer dann doch erschießt, weil jener mit Jessica poussiert, die sich bereitwillig als Trophäe hergibt.

Im Flachland des Hier und Heute

Kein feministisches Frauenbild also. Und kein politischer Mord, sondern eine Tat im Affekt. Vollends verfehlt, weil sich nach der Besatzung just Hoederers Position als Parteilinie durchsetzt. „Nicht verwendbar“, lautet das Urteil der Partei über Hugo, das dieser selbst am Ende hervorstammelt. Er wankt gleichsam ins historische Nichts. Mit dieser „brutalstmöglichen Aufklärung“ hätte es enden können.

Schade nur, dass eine achtbare Aufführung, die denn doch eine Menge Gedankenstoff recht sorgsam aufbereitet, am Schluss noch einmal ins Alberne driftet. Wir sehen den Redner einer hohlen „Neuen Mitte“ aus dem geistigen Flachland des Hier und Heute, er schwafelt von Flexibilität und dergleichen. Ein schneller Lacherfolg. Doch mit Sartre hat dieser flotte neue Typ des Kompromisslers nur noch vage zu tun.

Termine: 22., 23, 25., 29.. 31. März. Karten: 0202/569-4444.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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