Dreißigjähriger Krieg als bitteres Lehrstück – Hansgünther Heyme inszeniert Strindbergs „Gustav Adolf“

Von Bernd Berke

Marl. „Der französische Gesandte ist wieder da.“ – „Die Schotten rasen.“ – „Tilly ist in der Schlacht gefallen.“ So aufgeregt schallt’s von der Bühne herab. Wahrhaftig: August Strindbergs „Gustav Adolf“ ist in Marl ein wahres Boten-Stück. Immer wieder eilt in Hansgünther Heymes Ruhrfestspiel-lnszenierung einer herbei, um neueste Nachrichten aus dem Dreißigjährigen Kriege zu verkünden.

Worum geht’s bei diesem oft etwas atemlosen Schlagwort-Theater der historischen Raffung? Anno 1630 griff jener Schwedenkönig Gustav Adolf ins europäische Kriegsgeschehen ein. Seine Truppen landeten auf Usedom und zogen sodann (gegen kaiserliche bzw. katholische Verbände Wallensteins und Tillys) durch zerrissene „deutsche“ Gebiete zu Felde. Stettin, Magdeburg, Nürnberg, Lützen. So viele Städte, so viele Tote.

Ein sperriges Ungetüm

Strindbergs 1903 in Berlin uraufgeführtes Drama ist seit 1965 nicht mehr gespielt worden. Seinerzeit führte in Wiesbaden gleichfalls Hansgünther Heyme Regie. Eine Ausgrabung aus eigenen Beständen, wenn man so will. Nun ahnt man, warum sich so lange kein anderer an das sperrige Ungetüm herangetraut hat.

In der Eisenlagerhalle der Marler Zeche „Auguste Victoria 1/2″ sitzen die Zuschauer auf harten Kirchenbänken, als sollten sie ein wenig Buße tun für historische Schuld. Als Mahnung wallt zudem ein 600 Quadratmeter großes, schwarzes „Grabtuch“ mit Sterbedaten aus den Weltkriegen rings um dem Raum.

Vorn, auf der schrägen Bühne mit dem kalt glitzernden Metallboden, geht’s nicht minder mahnend zu. Strindberg, von dem wir bislang gedacht haben, er sei Spezialist für Geschlechterkämpfe, hat hier die Absurdität der großen Völkerschlachten dargestellt und Heyme macht ein bitteres, manchmal reichlich steifleinenes Lehrstück wie von Brecht daraus; mit Trompetenschall, Chorpassagen und Sprechgesängen.

Wer ist Freund, wer ist Feind?

König Gustav Adolf (Peter Kaghanovitch), von vier Generälen flankiert (alle weiblich – warum eigentlich?), wirkt anfangs ganz von seiner Mission erfüllt. Er kämpfe für die protestantischen Glaubensbrüder, meint er unumwunden. Doch welche Verwirrung entsteht im kriegerischen Getümmel: Gewisse Verbündete erweisen sich als Katholiken, manche Gegner als evangelisch. Von denen wiederum nennen sich die einen Protestanten, andere Lutheraner oder Reformierte. Da kenne sich einer aus.

Der Krieg um den Glauben wird zum Krieg als Selbstzweck. Die große Unübersichtlichkeit führt Gustav Adolf schließlich zu friedfertiger Toleranz à la „Nathan der Weise“: „Im Haus des Herrn sind viele Wohnungen“, auch für Juden und Moslems. Seiner Zeit gedanklich weit voraus, wird er damit zum „modern“ anmutenden, tragisch einsamen Menschen – „ohne Freund und Feind allein“. Eben doch ein Strindberg.

Den historischen Hauptstrang bekommt Heyme nur grob in den Griff: viel Getrampel und Gemaule, donnernde Theatralik. Doch in den leiseren, gleichsam familiären Szenen und bei einigen Nebenfiguren (Wolff Lindner, Wolfgang Robert) wird, hinter all dem klobigen Belehrungs-Ernst der Unternehmung, auch feinerer Nebensinn spürbar.

Termine: 5, 6,, 7„ ,8, Mai (20 Uhr). Eisenlagerhalle, Zeche Auguste Victoria 1/2 in Marl, Victoriastraße in Marl-Hüls.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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