Sehnsucht nach Tralala – Zwei neue Schlager-Bücher zur Einstimmung auf den „Grand Prix“ mit Guildo Horn

Von Bernd Berke

Am nächsten Samstag gilt’s. Dann muß der „Meister“ Guildo Horn beim „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ zeigen, ob er in der Champions League des Schlagers bestehen kann. Bevor wir uns aber mit Nußecken zur Fernseh-Party rüsten, ist Besinnung ratsam. Zwei neue Bücher sagen uns, was die Schlagerwelt im Innersten zusammenhält.

Eine ganze Phalanx von Autoren hat die an kultverdächtigen Abstrusitäten so reiche Geschichte des „Grand Prix“ nachgezeichnet – von 1956 bis 1997, also bis ins „Jahr eins vor Guildo“. Unfeine Täuschung: Obwohl der Trierer, der uns alle so schrecklich lieb hat, in den Texten überhaupt nicht vorkommt, prangt sein Konterfei auf dem Titel. Man muß das Eisenzeitig schmieden…

Inhaltlich aber ist s ein gelungener Band mit schrillen Bildern und hilfreichen Siegertabellen seit Anbeginn. Der sarkastische Titel „L’Allemagne deux points“ (Deutschland zwei Punkte) deutet die Richtung an. Das eigene Nest wird freudig beschmutzt.

Die Iren vorn, die Finnen hinten

Doch auch andere Länder entgehen der Ironie nicht; beispielsweise, wenn die Daseinsfrage erwogen wird, warum Irland zuletzt auf Sieg nahezu abonniert war, während die „Grand Prix“-verrückten Finnen noch nie einen vorderen Platz ergattern konnten; vielleicht, weil sich deren Titel nur stockend nachsingen lassen?

Das Phänomen des Euro-Schlagerwettbewerbs wird von allen Seiten beleuchtet. Die oft schrulligen Eigenheiten der am großen Tralala beteiligten Nationen kommen ebenso respektlos zur Sprache wie die Psychologie eines Ralph Siegel, des bisherigen Lordsiegelbewahrers deutscher Schlager-Seligkeit. Die Wandlungen des TV-Studio-Designs seit den 50er Jahren geben ebenso Auskunft über den Zeitgeist wie die Kleidung der Stars und Sternchen. Wie etwa France Gall, Katja Ebstein oder Mary Roos sich gaben – das sind Dokumente erster Güte!

Als Historiker wagen die Autoren auch eine Epocheneinteilung. Die ganz große Zeit des „Grand Prix“ seien die Jahre von 1968 bis 1981 gewesen, als Oma, Eltern und Enkel oft noch gemeinsam mitfieberten – und manche nach dem seichten Zeug ganz süchtig wurden.

Da macht es „Ring Ring“ oder „Boom Boom“

Das Waterloo des deutschen Schlägers gab s im Jahre 1974, als die Gruppe Abba just mit dem Titel „Waterloo“ gewann, während Cindy & Bert („Sommermelodie“) auf dem letzten Rang landeten. Nur Nicole konnte 1982 (mit „Ein bißchen Frieden“) die Scharte als Siegerin auswetzen. These: Gerade weil das Lied so provinziell und bieder gewesen sei, habe man es einer Deutschen gern „abgekauft“.

Ansonsten aber hieß es meist bedauernd (oder hämisch?): „Deutschland – zwei Punkte“. Ganz klar, denn mit ausgeklügelten internationalen Titeln wie „Pump, Pump“, „Lalala“,„Ding-a-Dong“, „Ring Ring“, „Boum badaboum“, „Boom Boom“ und „Boom-Bang-ABang“ konnte man nie konkurrieren. Goldrichtig also, daß sich Guildo Horn („PiepPiep Piep“) aufs europaweit gängige Stammeln einstellt.

Italien, die Südsee und das Soziale

Ein Mann mit dem Pseudonym André Port le roi zeichnet verantwortlich für das Buch „Schlager lügen nicht“. Auch hier grinst Guildo Horn auf dem Titel, der auf gerade mal zwei Seiten als Scharlatan abgebügelt wird. Sich gierig an den Trend, hängen und dann meckern, das haben wir gerne.

Der Autor vertieft den Grundkurs aus dem „Grand Prix“-Buch. In manchmal kurzschlüssiger Weise koppelt er die bekanntesten Trailer-Zeilen ah politische Phasen der letzten Jahrzehnte. Es gibt eben die typischen Schläger der Adenauer-, Brandt-,Schmidt- oder Kohl-Ära.

Belustigt verfolgt man das stete Hin und Her zwischen rockigen Akzenten (Peter Kraus, Drafi Deutscher) und Volkstümelei, zwischen vorsichtiger Emanzipation (Gitte, Rita Pavone) und Macho-Reaktion (Günter Gabriel). Auch wechselnde Moden der Italien-, Südsee- und Sozial-Schlager (Udo Jürgens) plätschern vorüber.

Übrigens werden die Perlen deutscher Sehnsuchts-Lyrik abgedruckt, Strophe für Strophe. Da hat man was fürs Leben.

„L’Allemagne deux points – Ein Kniefall dem Grand Prix“. Ullstein. Reihe „Fun Factory“. 160 Seiten. 22,90 DM / „Schläger lügen nicht“. Klartext-Verlag, Essen. 223 S., 19,80DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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