Wo man trinkt, da läßt sich’s dichten: „Wasser genügt nicht“ – Gasthausgedichte von Johannes Kühn

Von Bernd Berke

Seltsam, daß ein Ort, an dem so viel Freizeit hingebracht wird, nicht mehr poetische Texte hervorruft. Die Kneipe ist hierzulande nahezu dichtungsfreies Gelände.

Wo ist sie geblieben, die Tradition sinnenfroher Trinklieder? Ein Ire würde über derlei verbale Abstinenz nur den Kopf schütteln. Doch jetzt scheint endlich Abhilfe zu nahen: „Wasser genügt nicht“ nennt Johannes Kühn seinen Band mit Gasthausgedichten.

Kühn ist Stammgast in einem saarländischen Dorfausschank. Vom Ecktisch aus, den Stoß Papier vor sich, beobachtet der Lyriker das tägliche Treiben in diesem sozialen Biotop. Sein Gedichtband beginnt mit litaneihaften Einladungen des Wirtes, doch bitteschön an Tisch oder Tresen Platz zu nehmen. Ein therapeutisches Angebot mit pekuniären Triebkräften, denn verdienen will er auch, der gute Mann. Den Durst der Kundschaft würde er am liebsten herbeihexen:

„Seid ihr zu kurz gekommen / im Leben? Tretet ein bei mir! / Ich habe Gläser aus Kristall / mit langen Stielen. / Und was hineinkommt, das stammt / aus Weinbergen, / in die im Sommer / die rasenden Sonnentage springen, / die Trauben unter Blättern zu beglühn. / Sie blasen Flammen über jede Dolde.“

Zeilen von bezwingender Rhythmik und satter Sprachkraft, weit über den unmittelbaren Anlaß hinaus. Und es sind ja auch keine bloßen Kneipenlieder, sondern es ist der Blick auf die Welt aus besonderer Perspektive, gleichsam die optisch Brechung des großen Ganzen in jenem Glase, das vor dem Dichter steht. Denkt man an Oden von Friedrich Hölderlin, liegt man nicht so falsch. Den nämlich verehrt Kühn als Lehrmeister. Und in seinen allerbesten Momenten kommt er ihm nah.

Im Verlauf des Bandes wird das zuweilen komische, zumeist jedoch tragische Typen-Panoptikum vorgeführt, das sich im Wirtshaus einfindet. Wir hören von elend lauten Schwätzern, Sturzbetrunkenen, einsam vor sich hin sabbernden Gestalten. Manches gerinnt zur Genre-Szene wie auf alten Gemälden.

Ohne ein Wort Dialekt zu schreiben, vermittelt Kühn den anheimelnden, im Grunde aber stets etwas stumpfen und herb-säuerlichen Geschmack einer Region, die offenbar von wachsender Armut geprägt ist. Die Rest-Idylle dieses abgelegenen Winkels, in dem gelegentlich noch Schafhirten den Weg kreuzen, ist allzeit bedroht. Es ist, als seien manche Menschen, die hier auftauchen, die letzten ihrer Art, und als wolle der Dichter auch sie bewahren, indem er gegen das rasche Dahinschwinden von Natur, Geborgenheit und Heimat anschreibt. Angesichts gefällter Dorfbäume heißt es resignierend:

„Was brauchen wir? / Nur die Maschine, / die Sägemehl / zurückstanzt / zu einem Prachtbaum… Keinen Grashalm kann der Mensch bis heut erschaffen.“

Auch im Gasthaus entgeht man, allen Beschwörungen des Wirtes zum Trotz, nicht immer den Gedanken an die Ungastlichkeit der Welt. Und doch spendet die Kneipe als ein Ort der Zuflucht Hoffnung

„Zufrieden wird man nicht mit Morden, / doch mit Bier.“ Wie wahr, wie wahr.

Johannes Kühn: „Wasser genügt nicht“. Gasthausgedichte. Hanser Verlag. 132 S., 26 DM.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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