Unverbraucht und frisch: Johannes Schaafs Version von Mozarts „Cosí fan tutte“ in Essen

Arkadische Komödie, Anklänge an den barocken Mythos von Cythera, Maskerade: Die Bühne von Kathrin-Susann Brose für Mozarts "Cosi fan tutte" in Essen knüpft an viele Motive an. Foto: Matthias Jung

Arkadische Komödie, Anklänge an den barocken Mythos von Cythera, Maskerade: Die Bühne von Kathrin-Susann Brose für Mozarts „Cosi fan tutte“ in Essen knüpft an viele Motive an. Foto: Matthias Jung

Rückzug auf die Vernunft. Die Männer können das. Gefühle ausblenden, „heitere Ruhe“ finden. Her mit dem Sekt. Die Frauen können – oder wollen – das nicht. Die Versöhnung im Namen einer fragwürdigen Vernunft funktioniert nicht; nicht nach diesem Schock. Cosí fan tutte? So machen’s alle? Wohl kaum.

Johannes Schaaf hat in seiner Essener Inszenierung der Mozart-Oper, die jetzt (blitzsauber einstudiert) wieder aufgenommen wurde, dem vernünftelnden Pragmatismus des Finalensembles eine Absage erteilt. Der Mensch, der alles von der guten Seite nimmt und sich von der rationalen Überlegung durch die Wechselfälle des Schicksals leiten lässt, den zeigt er uns nicht. Die arg getäuschten Frauen, in die zynische Falle einer Wette unter Männern getappt, spielen nicht mit. Schaafs Inszenierung ist auch 15 Jahre nach ihrer Premiere noch ein bewegendes, klug entwickeltes Stück Musiktheater und Lebensphilosophie. Claudia Isabel Martin hat mit der Neueinstudierung ganze Arbeit geleistet: Die Essener „Cosí“ wirkt unverbraucht, frisch, aktuell.

Daran trägt das Dirigat von Yannis Pouspourikas entscheidenden Anteil: Der Erste Kapellmeister am Aalto-Theater paart blitzende dynamische Energie mit schwebendem, federndem Orchesterklang. Seine Rhythmen springen ab, ohne ihren Esprit an die papiererne Mechanik so mancher „Originalklang“-Versionen zu verraten. Bei Pouspourikas lebt jede Phrase – und die Philharmoniker zeigen weit mehr als Präzision im Detail: schlanke Bläser, wendige Streicher, geglückte Balance, kluges Hören auf den Partner im Ensemble. Orchestral ein Mozart-Abend auf hohem Niveau, der Lust macht auf Pouspurikas‘ Nachdirigat der „Idomeneo“-Neuinszenierung im Januar 2015 und auf seine „Zauberflöte“, mit der er sich 2013 schon als neuer Kapellmeister vorgestellt hatte.

Erfreuliches auch aus dem singenden Ensemble: Baurzhan Anderzhanov überzeugt vor allem mit seiner klaren, sauber fokussierten Stimme als Strippenzieher Don Alfonso; Christina Clark als Despina spielt nicht nur ihre Qualitäten als Mozart-Soubrette, sondern auch ihr Talent für körperliche Aktion vorteilhaft aus. Keine offenen Wünsche auch bei Sharon Kempton als Fiordiligi und Karin Strobos als Dorabella. Beide zeigen sich stimmlich in guter Form und erfüllen ihre Partien auch sprachlich mit Sinn: Die Rezitative bringen sie pointiert, formen den Ausdruck mit den Mitteln des „singenden“ Sprechens. Und in den Arien ist der schöne Klang kein Selbstzweck, sondern Medium der Expressivität.

Bei den Herren Martijn Cornet (Guglielmo) und Michael Smallwood (Ferrando) fällt die Bilanz nicht ganz so eindeutig aus: Cornets schlanker Bariton kann sich klanglich manchmal nicht so recht entfalten, steckt dann in sich fest, statt sich frei projiziert zu entfalten. Smallwoods Tenor überzeugt im Zentrum, aber die Höhe ist problematisch gebildet: Der Registerwechsel ist kaum verblendet, die Töne wirken hauchig und verlieren ihren klanglichen Kern. Am Ende muss er offenbar gegen die Ermüdung kämpfen, die seine Stimme allmählich härter werden lässt. Dennoch: Beide schöpfen ihre gestalterischen Möglichkeiten aus und tragen zur harmonischen, starken Besetzung bei. Ein Abend, den man nicht missen möchte, weil er zeigt, welche Vorzüge stabile Ensemblepflege bietet. Und weil er eine Lanze für ein qualitätvolles Repertoiretheater bricht: Schaafs Inszenierung hat auch nach fünfzehn Jahren noch etwas zu sagen, wo manch mätzchenverliebter Aktualismus schon nach dem zweiten Anschauen Reiz und Substanz verloren hat.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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