Flammende Botschaften aus dem Märchenreich – Ausstellung zu Leben und Werk der Else Lasker-Schüler

Von Bernd Berke

Wuppertal. Als Lyrikerin ist Else‘ Lasker-Schüler (1869-1945) weithin bekannt. Aber als Zeichnerin? Man glaubte, höchstens 40-50 Beispiele für diese Zweitbegabung finden zu können, als man vor zwei Jahren mit den Recherchen begann. Doch nun sind es annähernd 150 Kunst-Blätter von Hand der Dichterin, die man in einer großen Wuppertaler Ausstellung sieht.

Wer genügend Muße mitbringt, kann sich in der Barmer Kunsthalle tief ins Leben und Werk der deutsch-jüdischen Autorin versenken. Eine Fülle von Briefen, Tagebüchern, Manuskripten, Fotos und AmtsDokumenten belegt einen unbehausten Weg durch die Zeitläufte – von der Kindheit im Geburtsort Elberfeld (heute Wuppertal) über die wechselhaften Berliner Bohème-Jahre, die Vertreibung aus NS-Deutschland, das Schweizer Exil und schließlich ins einsame Dasein zu Jerusalem, wo sie vor 50 Jahren (22. Januar 1945) völlig verarmt gestorben ist.

Ein fortlaufender Bilder-Fries mit historischen Fotos ruft den geschichtlichen Zusammenhang wach; zudem zieht sich eine Leiste mit knappen lyrischen Lasker-Zitaten durch die Räume – lichterloh flammende Botschaften aus einem Märchenreich, Reaktionen einer äußerst empfindsamen Frau auf die Zumutungen der Welt. Auswahl und Präsentation lassen Emphase spüren. Man will uns gar vieles zeigen. Um so bedauerlicher, daß kein Katalog die Eindrücke bündig bewahrt.

Edler Giselher und Prinz von Theben

In den Zeichnungen und druckgraphischen Arbeiten der Else Lasker-Schüler tut sich eine phantastische kleine Sonderwelt auf. Da firmiert etwa der angehimmelte Gottfried Benn als edler „Giselhe(e)r“, die Dichterin selbst sieht sich in den Rollen „Jussuf“ oder „Prinz von Theben“. Oft ist das erschütternd in seiner Verletzlichkeit: Jussuf, inständig um Weltfrieden bittend. Jussuf, der sich aus Verzweiflung erhängt hat.

Die persönliche Mythologie speist sich aus vielen Quellen: Biblische Themen und Figuren treten hervor, exotische Szenarien und Requisiten indianischen oder orientalischen Ursprungs, auch aus Tibet und Afrika – Motive, die gleichfalls in ihren Gedichten anklingen. Einmal schreibt sie in ihr Tagebuch: „Die kleinen Spatzen sind meine einzige Freude seit sechs Jahren.“ Gedichte und Bilder sind, bei aller kunstvollen Formung, Ausdruck einer bitterlich einsamen Seele, die sich aus realer Bedrängnis ins Sternenweite ergießen will. Wir schauen da in ein Geisterland, bevölkert von traumnahen Wesen, die einander gut sein sollen, jedoch auch von Angst-Gestalten.

Es gab – neben der Ehe mit Herwarth Walden – freundschaftliche Kontakte zu Franz Marc, Karl Schmidt-Rottluff und zum Hagener Christian Rohlfs, von dem ein wundervolles Dichterinnen-Bildnis gezeigt wird. Ihre eigenen Blätter sind denn auch ersichtlich im Umkreis des deutschen Expressionismus entstanden. Manchmal hat sie auch (ähnlich wie der Wiener Gustav Klimt) ihre Bilder mit kleinen Goldauflagen durchwirkt. Sie nahm dazu freilich glitzerndes Bonbon-Papier.

Naive Hoffnung auf Stalin und Mussolini

Kaum minder bewegend sind einige Dokumente: Beispielsweise die um 1919 angefertigten Berichte der schweizerischen Spitzel, die ihr einen Kommunismus-Verdacht anhängen wollten. Sodann ihr (vielleicht nie abgeschicktes) Telegramm an Josef Stalin: „Marschall, ihr seid der gütigste und liebste Mensch der Welt.“ An jeden hat sie halt ihr bißchen Hoffnung geheftet, von dem sie meinte, daß er den deutschen Nazis Einhalt gebieten könnte – sogar an Benito Mussolini.

Traurige Sensation: Erstmals finden sich in dieser Ausstellung Belege für einen bislang bezweifelten Briefwechsel, den sie mit dem italienischen Faschistenführer beginnen wollte. Else Lasker-Schülers naive Hoffnung, nicht von dieser Welt und doch damals von etlichen Juden geteilt: Mussolini sollte Hitler den Antisemitismus ausreden. Statt einer Antwort ließ der „Duce“ über sein Büro der Dichterin am 17.3.1938 „saluti fascisti““ ausrichten – „faschistische Grüße“. Und das zu jenen Zeiten einer Jüdin im Exil…

Else Lasker-Schüler. Ihr Leben, ihr Werk, ihre Zeit. Ab Sonntag (9. April) bis 28. Mai. Kunsthalle Wuppertal-Barmen, Geschwister-Scholl-Platz (Tel. 0202/563 6630). täglich 11-19 Uhr. Eintritt 10 DM. Familienkarte 20 DM, jeweils inklusive Begleitheft. Kein Katalog.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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