Monatsarchive: Mai 1995

Unglück lauert überall – Ibsens Seelendrama „Gespenster“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Es beginnt wie ein Salonstück: So geläufig und scheinbar freimütig parliert Pastor Manders mit Helene Alving über Gottesfurcht und weltliche Geschäfte. Doch es ist nicht die wahre Leichtigkeit des Seins: Insgeheim lauern schon Ibsens „Gespenster“.

Sewan Latchinian hat das Seelendrama im Dortmunder Schauspielhaus inszeniert. Er ist mit dem Stück im großen und ganzen deutlich behutsamer umgegangen als kürzlich mit Shakespeares „Sommernachtstraum“.

Bühnenbildner Tobias Wartenberg hat den hinteren Teil der Szene mit lauter überdimensionalen Kartons vollgestellt. Damit sind sinnfällig Auswege verbaut. In den Kisten steckt wohl fast der gesamte Hausrat der Witwe Alving. Es springt schon mal ein Deckel auf, und dann kollern – wie peinlich! – geleerte Alkoholflaschen zu Boden. Doch ansonsten: alles weggepackt und dem … Weiterlesen

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Nach der tierischen Orgie kommt Katzenjammer – Jelineks „Raststätte oder sie machens alle“ und Christoph Heins „Randow“ bei den Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Welch ein Wechselbad beim 20. Mülheimer Dramatikerwettbewerb: Nach einer wüsten Bühnenorgie mit Elfriede Jelineks „Raststätte oder sie machens alle“ war – wie zur Herabstimmung der Gemüter – Christoph Heins „Randow“ in einer kreuzbraven Inszenierung zu sehen.

Zwischen hochfliegenden Freiheits-Träumen und den Niederungen der Freizeit-Gesellschaft ist der Mensch längst vor die Hunde gegangen, zumal als sexuelles Wesen. Das jedenfalls will uns Elfriede Jelinek mit dem „Raststätten“-Stück eintrichtern.

In Mülheim gastierte ein Regie-Attentat aus den Reihen der deutschen Theater-„Spaßguerilla“: Frank Castorfs Inszenierung vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Castorf stampft den feministisch grundierten und rhetorisch streckenweise unangenehm pompösen Text in Grund und Boden. Am Schluß muß sogar eine an intimen Stellen aufgeregt blinkende und wienerisch schwadronierende Kunst-Figur herhalten, die … Weiterlesen

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Der Kleinbürger möchte ein Monster sein – Franz Xaver Kroetz‘ Sexualkomödie „Der Drang“ bei den Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Otto möchte mit seinem Weibe auch mal tun, was „alle anderen Männer“ mit ihren Frauen dürfen. Doch Ottos Hilde scheut Eskapaden zwischen den Daunen. Kommt vor. Ist normal. Dann taucht Hildes Bruder Fritz auf. Der hat wegen Exhibitionismus im Knast gesessen. Kommt auch vor. Ist aber nicht normal. Oder verhält es sich anders?

In Franz Xaver Kroetz‘ Szenenfolge „Der Drang“, mit der jetzt der 20. Mülheimer Dramatikerwettbewerb eröffnet wurde, ist Normalität nur ein Vexierbild entfesselter Träume. Besagter „Herzeiger“ Fritz ist auf Bewährung frei, er findet Unterschlupf samt Fronarbeit bei Schwester und Schwager in der Friedhofsgärtnerei. Auf den Pflanzenbeeten schießt nicht nur Blattwerk wollüstig ins Kraut…

Um seinen Trieb zu dämpfen, schluckt Fritz Medikamente. Das mindert seinen … Weiterlesen

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Sehnsucht nach dem Echten – „Lisbon Story“ von Wim Wenders

Von Bernd Berke

Die Fahrt führt von Frankfurt nach Lissabon. Wim Wenders setzt die Zuschauer seiner „Lisbon Story“ gleich mit in den Wagen. Durch die Frontscheibe blicken wir immerzu auf Asphaltbänder. Bald wechseln die Länder, doch die Straßen bleiben sich so ähnlich. Schlimm genug.

Schlimmer noch: Aus dem Autoradio quellen Musik- und Sprachfetzen. Die Stationen nudeln Pop, und die Moderatoren schwadronieren zwar in verschiedenen Sprachen, aber im gleichen Gutelaune-Ton. Und was denkt sich der lakonische Mann am Lenkrad bei all dem? „Europa wächst zusammen“.

Ein Seufzer schwingt mit: Der alte heimatliche Kontinent wird nivelliert, die Suche nach dem Unverwechselbaren immer schwieriger. Wo also kann man noch Bilder fürs Kino finden? Vielleicht am Rande des Erdteils, in Lissabon? Im Innersten der … Weiterlesen

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Gretchen, mir graut vor dir! – „Faust Wurzel aus 1 + 2″ von Christoph Marthaler bei den Ruhrfestspielen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Ein ranghoher Hamburger Politiker hat mal den Satz geprägt, er wolle „seine“ Klassiker auf der Bühne gefälligst wiedererkennen. Ha! Da wäre er bei Christoph Marthaler an den Falschen geraten. Der nämlich hat Goethes „Faust“ gründlich durch den Wolf gedreht. Die tollkühne Tat des Schauspielhauses Hamburg war bei den Ruhrfestspielen zu sehen.

Von Goethes Text kommen in „Faust Wurzel aus 1 + 2″, der verwegenen Variante des Schweizer Theatermachers, bestenfalls noch drei Prozent vor. Dafür sehen wir gleich scharenweise „Mephistos“ (für gewisse Kernbereiche der Figur sollen Siggi Schwientek und Ulrich Tukur stehen) sowie ein ganzes „Gretchen“-Quartett durch die fabrikhafte Szenerie stolpern. Rücklings auf dem Klappbett, haucht Fausts vierfaches Liebchen immer wieder im Chor seinen Vornamen: „Heinrich“. Gretchen, … Weiterlesen

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Beklemmung und Freiheit – Kunst bei den Ruhrfestspielen: Kawamatas Holzbauten mit dem Titel „Bunker“

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Reges Treiben in der Recklinghäuser Kunsthalle. Offenbar wird der ehemalige Luftschutzbunker erneut umgebaut, denn aus den Fenstern im zweiten Stock schauen ja schon Gerüstbretter. Doch selbst oberflächliche Kenner der strikten deutschen Bauvorschriften schütteln gleich den Kopf. Diese fragile Holz-Anordnung mißachtet alle technische Vernunft. Es muß etwas anderes im Spiel sein.

Das im Wortsinne „Heraus-Ragende“ ist ein Freiluft-Ausläufer der dreiteiligen Großinstallation, die der japanische Künstler Tadashi Kawamata (42) in die Kunsthalle eingebracht hat. Der zweifache documenta-Teilnehmer, der 1992 ein ganzes Holzhüttendorf in die idyllische Kasseler Karlsaue stellte, hat sich in Recklinghausen mehrfach inspirieren lassen: von Herkunft und üblicher Bestimmung des verwendeten Grubenholzes, aber auch von der Bunker-Vergangenheit der Kunsthalle. Und damit spielt schließlich das Friedensmotto des Auftraggebers, … Weiterlesen

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Christos frohe Botschaft von der Verhüllung des Reichstags – Aachener Skizzen-Ausstellung im Vorfeld der Berliner Aktion

Von Bernd Berke

Aachen. Wenn der Künstler Christo ab 17. Juni den Berliner Reichstag verhüllt, werden restlos alle Deutschen glücklich sein. Warum? Christos Gefährtin Jeanne-Claude verriet es gestern in Aachen: 80 Prozent freuen sich, wenn die Hülle aufs Gebäude gelegt wird – und 20 Prozent frohlocken. wenn man sie wieder abzieht.

Christo Javacheff erschien im üblichen Räuberzivil und mit genialisch-wirrem Haarschopf. Der Bulgare, der seit Langem in New York lebt, erinnert ein wenig an „Stadtneurotiker“ Woody Allen.

Gefährtin ist um kein Wort verlegen

Er und seine um kein Wort verlegene Ehefrau (Christo: „Nun laß mich doch auch mal antworten“) kamen jedenfalls ins Aachener Suermondt-Ludwig-Museum, um eine Ausstellung mit Skizzen sowie Fotografien zu dieser und zu früheren Verhüllungen (Pariser Brücke Pont … Weiterlesen

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