Versteckt im Irrgarten der Bilder – Druckgraphik von Bernard Schultze in Hamm

Von Bernd Berke

Hamm. In solchen Bildern kann man sich verirren: Bernard Schultze (geb. 1915) verstrickt die Blicke des Betrachters in üppige Liniengewächse. Es scheint, als wolle er sich selber drin verstecken. Und so heißt die Hammer Ausstellung seiner Druckgraphik denn auch, einem Schultze-Zitat gemäß: „Das Labyrinth ist mein Schutz“.

Die rund 120 Lithographien und Radierungen gehören fast ausschließlich privaten Sammlern. Die Auswahl beginnt mit dem Blatt „In den Kulissen“ (1950/51). Es zeigt eine noch figurative, womöglich von Theaterszenen inspirierte Gruppierung. Abstrahierte Schatten-Wesen überlagern einander so vielfach im Raum, daß dieser dem Orientierungssinn spottet. Die frühe Lithographie markiert also bereits den Weg in den Irrgarten.

Schultze, der um 1952 (Gruppe „Quadriga“) zu den Mitbegründern des deutschen Informel zählte, ließ das Gestrüpp der Linien fortan zusehends wuchern. Manchmal wirkt es beim ersten Hinsehen maßlos oder ungestalt, als habe das alles kein Ziel. Doch da täuscht man sich, denn der Künstler entzieht sich lediglich der raschen Festlegung, er will sich gegen Zudringlichkeit wehren. Bestimmt werden derlei Bilder letzten Endes von altmeisterlicher Formstrenge. Der kunsthistorisch sehr kundige Schultze arbeitet keineswegs bodenlos, sondern weiß sozusagen genau, wo er den Anker werfen muß und wo er ihn lichten darf.

Gestalten aus der Nebenwelt

In den 60er Jahren schuf er sich ein Markenzeichen, die sogenannten „Migofs“. Die Körper dieser Phantasiewesen quellen und verzweigen sich derart bizarr in alle Richtungen, daß man tief ins Dickicht gerät. Es sind Formen eines zweiten Lebens, das sich selbständig fortpflanzt. Etwas Morbides, Todessüchtiges haftet ihnen an, sie werden zu Zeichen einer aus aller Ordnung geratenen Epoche. Schultze meidet politische Anklänge, doch seine Bilder sammeln Zeitgeist mitunter beängstigend präzise ein. Die Körper-Explosionen lassen an kriegerische Greuel und Gewalt denken, es sind dringliche Angstvisionen.

Die Hammer Ausstellung bietet auch eine Premiere. Vier große Radierungen (jeweils 1 mal 2 Meter) sind erstmals öffentlich zu sehen. Schultze hat sie ab 1992 in einer renommierten Spezialdruckerei zu Barcelona geschaffen. Allesamt dem gleichen Motiv entsprungen, wirken sie je für sich und doch auch im Vierklang miteinander. Durch immer wieder andere Tönungen und Drehung der Formen verändert sich der Ausdruck.

Schultze kehrt mit diesen neuen Arbeiten wieder zur entschiedenen Gegenstandslosigkeit des Informel zurück. Beinahe lieblich-versöhnlich leuchten nun die Farben, himmelweit offen ist der Bildhorizont. Nun irrt der Blick nicht mehr, sondern verliert sich wohlig ins Ferne.

Bernard Schultze. Druckgraphik. Hamm, Gustav-Lübcke-Museum. Neue Bahnhofstraße 9. Tel.: 02381/17 57 01). Bis 23. April, Di-So 10-18, Mi 10-20 Uhr, Mo geschlossen. Kein Katalog zur Ausstellung, aber: Ein bebildertes Werkverzeichnis ist für 90 DM im Museum erhältlich.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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