Ein Maler sucht die himmlischen Sphären – Werkschau über Maurice Denis in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Hochmodern sein und zugleich lammfromm – ob sich das wohl vereinbaren läßt? Der französische Künstler Maurice Denis (1870-1943) hat es zumindest nach Kräften versucht. Mit avantgardistischen Mitteln hat er religiöse Visionen auf Leinwand und Zeichenpapier gebracht – fast wie ein mittelalterlicher Meister. Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt nun die größte deutsche Retrospektive seit Jahrzehnten.

„Mädchen, die Engeln gleichen“ heißt ein Bild von 1892. Es ist ein programmatischer Titel. Denn Denis bezieht Motive aus seiner unmittelbaren Umgebung, lädt sie aber mit christlicher Inbrunst dermaßen auf, daß sie sich (auch farblich) ins Ätherische und Durchsichtige verflüchtigen. So werden aus Mädchen gläserne, hauchzarte Wesen mit Hang zum Höheren, nicht mehr so recht von dieser Welt.

Sind’s zur Heiligkeit aufgestiegene Menschen oder zur Erde herabgestiegene Himmelsbewohnerinnen? Mal dies. mal jenes. Am spannendsten sind jedenfalls die Bilder, mit denen Denis die Mitte zwischen beiden Sphären findet. Dann gehen Sehertum und künstlerischer Zukunftsdrang tatsächlich eine enge Verbindung ein.

Eine Labsal für Konservative

Die Bibel ist allgegenwärtig: Malt Denis einen Weinberg, so ist es allemal der Weinberg des Herrn; zeigt er eine Frau mit einem Fisch in der Hand, so ist wohl unterschwellig die wundersame Speisung der Fünftausend mitgemeint.

Konservativen Gemütern dürfte diese Ausstellung eine Labsal sein. Denn hier werden die rechtgläubigen Mysterien ausgiebig gefeiert – mit allen Heiligen, Seligen, Priestern und braven Chorknaben. Auch die gute alte Kleinfamilie wird als Keimzelle des guten Lebens nahezu vergöttert.

Doch Maurice Denis bediente sich keiner altbackenen Mittel. Inhaltlich orientiert er sich zwar an Vorbildern wie Fra Angelico. Doch im Spannungsfeld zwischen Jugendstil und Symbolismus, im Gefolge von Paul Gauguin und angeregt von japanischer Kunst, verwendet Denis auch extreme Bildformate, riskiert kühne Ausschnitte und setzt vor allem die Farben so frei ein wie Gefühle. Berühmt sein Satz, daß ein Bild, noch bevor es „eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote darstellt – vor allen Dingen eine Fläche ist, die mit (…) Farben bedeckt ist.“

Die mystische Ernte einbringen

So kommt es, daß übersinnlich-grünliche Schatten auf die Gesichter der Mädchen geraten. Daß Farben so gründlich ausbleichen, als wollten sie sich ins Nichts auflösen. Menschen und Dinge sind nicht mehr sie selbst, sie werden – auf einem Bild ganz ausdrücklich – geradezu mondsüchtig, fügen sich zu schwerelosen Reigen. So bringt Denis die „Mystische Ernte“ (Werktitel) ein. Phasenweise ist es ein einziges großes Offenbaren, Erwählen und Erwecken. Auch künstlerisch gehörte Denis ja einer Gruppierung an, die sich „Nabis“ (Propheten) nannte und Kult mit sich trieb.

Das Übermaß an Frömmigkeit wirkt beim Rundgang nicht nur erhebend, sondern manchmal auch erdrückend. Da freut man sich richtig, wenn man gewahr wird, daß Denis sich zuweilen auch mal einige verschmitzte Bilder gestattete. Beim Malen seiner Bade- und Strandszenen scheint er sich von den Anstrengungen und Prüfungen des Glaubens erholt zu haben.

Maurice Denis. Werkschau. Köln, Wallraf-Richartz-Museum (am Hauptbahnhof). Bis 2. April. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 10 DM. Katalog 49 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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