Geduldig wie ein Gärtner die Kunst wachsen lassen – Walter Witteks Stahlskulpturen und Bilder im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Zwei Tonnen wiegt der verwitterte Stahlwürfel, aber er schwebt in der Luft. Aus dem Boden ragt eine beängstigend geschärfte und polierte Spitze. Sie scheint nur darauf zu warten, daß der Kubus herunterfällt. Wäre das ein brutales Aufspießen! Doch es wird nicht geschehen. Vor der Hängung des Würfels hat man im Dortmunder Ostwall-Museum die Statik eingehend überprüft.

Es bleibt aber ein diffuses Gefühl der Bedrohung, wenn man sich unter diese Installation des Künstlers Walter Wittek (51) begibt. Steckt diese Furcht in einem selbst, oder verbirgt sie sich im Kunstwerk? Jedenfalls springt sie vom Objekt auf den Betrachter über – wie eine Elektrizität, die einem die Nackenhärchen aufrichtet.

Eine Fülle von Hintergedanken

Doch Wittek will uns eigentlich keine Angst einjagen. Eine andere Arbeit mit den gleichen Material-Zutaten wirkt ganz feierlich: Diesmal wird die Stahlspitze vom verrosteten Rechteck ummantelt und behütet. Das Ganze steht in einer halbrunden Nische und ähnelt einem Altar. Wiederum anders aufgestellt, können diese Stahlskulpturen aber auch Gedanken an Raketen oder Projektile nahelegen.

Oder sie setzen ökologischen Nebensinn frei. Das Arrangement mit dem Titel „Endlager“ soll gar demnächst tatsächlich in einem solchen versenkt werden. Wittek will die Teile in die Atomstätte von Ahaus bringen, von der er befürchtet, dass sie insgeheim als Endlager geplant sei. Drunten könnten die Stücke verstrahlen und selbstverständlich nie mehr ausgestellt werden. Die Aktion wäre nur via Monitor zu besichtigen.

Zwischen Endlager und Erdmittelpunkt

Hinter Witteks Arbeiten stehen überhaupt jede Menge Hintergedanken. Natürlich in erster Linie künstlerische Überlegungen (etwa zum Gegensatz zwischen Last und Leichtigkeit), aber auch philosophisch inspirierte Vorstellungen.

Die diversen Stahlspitzen, die er in Dortmund postiert hat, bedeuten auch den „Nabel der Welt“. Hintergrund ist eine antike, im Apollontempel zu Delphi als sogenannter „Omphalos“ (Wortverwandtschaft: Phallus, also das männliche Glied) Gestalt gewordene Idee der alten Griechen, es müsse einen Erdmittelpunkt geben. Schon damals hatte das einen mystischen Beigeschmack, denn es war allenfalls eine Sache für Eingeweihte. Solche absichtlich herbeigeführten Unschärfen durchziehen Witteks Werke. Sie scheinen eben jenes verborgene Zentrum zu umkreisen, von dem wir höchstens noch eine Ahnung besitzen.

Ganz konkrete Erlebnisse kommen als Anstöße hinzu: Als Kind erlebte Wittek in Dortmund den Bau des „Florian“-Fernsehturms, dessen Silhouette abends manchmal vom Stahlwerk her überglüht wurde. Auch daher also eine Vorliebe fürs Ragende und der Hang zum Stahl.

Schöpfungen mit Staub und Rost

Dieser Künstler ist kein Mystifax, er arbeitet durchaus handfest. In enger Kooperation mit einem Betrieb, der sonst Druckwalzen herstellt, entwirft er an seinem Wohnort Vreden (bei Borken) die stählernen Plastiken. Wittek, der vor seinem Nürnberger Kunststudium eine Lehre als Stahlgraveur absolvierte, versteht eine ganze Menge vom Handwerk. Und er hat immense Geduld. Auf das Werden seiner „Staub-Bilder“, die gleichfalls in Dortmund zu sehen sind, hat er rund zehn Jahre gewartet. So lange hat es nämlich gedauert, bis sich die Flocken der Zeit so aufs Papier gelegt und verwischt hatten, daß die Fläche geheimnisvoll grau meliert aussah.

Keine Spur vom schnellebigen, geldgierigen Kunstbetrieb. Wittek sieht langmütig zu, wie die Dinge allmählich entstehen und wachsen. Oder er wartet ab, wie sie Patina ansetzen und vergehen; wie zum Beispiel Stahl auf die Dauer rostet und dann auch für rotbräunliche Stempel-Abdrücke auf Bildern taugt. Zwischendurch wird der Rost sogar regelmäßig mit Wasser begossen. Im Garten der Kunst gedeihen eben auch solche „Pflanzen“.

Walter Wittek. Stahlskulpturen. Staub- und Rost-Bilder. 29. Januar bis 12. März. Museum am Ostwall, Dortmund. Di-So 10-17 Uhr. Katalog 30 DM.

 

 

 

 

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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