Die Welt ist luftig und leicht – Lyonel Feiningers „Natur-Notizen“ im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

In zittrigen Linien, gezeichnet wie in fiebrig-froher ErWartung, ragt die New Yorker Skyline empor. Auf einem anderen Bild sieht man von hoch oben einige Autos. Sie wirken wie kleine bunte Tiere. Selbst die Dampflok stampft wie ein harmloses Spielzeug daher. Lyonel Feininger (1871-1956) schöpft Heiterkeit noch aus dem städtischen Chaos.

Das Museum Ludwig zeigt 163 Zeichnungen und Naturskizzen des Amerikaners, der mit 16 Jahren nach Deutschland kam und 1937 wieder in die USA emigrierte. Diese Arbeiten aus den Jahren 1901 bis 1954 wurden bislang kaum ans Licht geholt, sie blieben die ganze Zeit über wohlverwahrt und befinden sich daher in einem hervorragenden Zustand. 5000 derartige Blätter besitzt das Busch-Reisinger-Museum (Cambridge/Massachusetts).

In seinen Skizzen ist Feininger viel spontaner als im malerischen Werk. Ausgetüftelte kristalline Formen oder prismatische Brechungen finden sich hier nur in seltenen, allenfalls zaghaften Ansätzen. Für seine „Natur-Notizen“ begibt er sich (meist mit dem Fahrrad) direkt in die Landschaft und läßt dem zeichnerischen Drang freien Lauf. Ja, manchmal verliert er sich ums Haar in naiv anmutenden Betrachtungen, die er jedoch gleichsam augenzwinkernd zu herrlich luftiger Leichtigkeit auflöst. Man folgt ihm gern in diese heilsame Welt der kleinen Freuden. Gar vieles erinnert an den Comic-Zeichner Feininger (Pionierleistung: „The Kinder Kids“) oder ergeht sich in geradezu chaplinesker Groteske („Pinkelnder Mann von hinten“, 1909).

Skizzen fein säuberlich gelocht und abgeheftet

Feininger erarbeitete sich mit den Skizzen allmählich einen breiteren Motiv-Fundus. Er betrachtete diese Arbeiten vor allem als Übungsblätter, die er nicht öffentlich vorzeigen mochte, sondern fein säuberlich lochte und in etlichen Ordnern abheftete. Da weiß man, was man hat…

Zahlreich sind die Landschaftsstudien aus der dörflichen Umgebung von Weimar und vom Gestade der Ostsee. Die mit stilisierten Menschen bevölkerten Strandszenen haben stets einen leichten Stich ins Komische, die Figuren wirken fast ein bißchen äffisch angesichts erhabener Naturkulissen.

Feiningers Dorfidyllen entfernen sich indessen nur zögernd von der Konvention. Erkennbar ist jedoch – in beiden Genres – Feiningers entschiedene Neigung zur Architektur. Am Meer sind es die Segel, an Land die Kirchtürme, die sich zu charakteristischen Dreiecksformen fügen. Auch Natur wird architektonisch durchdrungen, manch ein Baumgeäst erscheint wie Bauwerk von Menschenhand. Und in den Wolken flimmern auch schon mal Schriftzeichen.

Zwischen Schreck und Verwunderung schwankt der Betrachter vor den „Figurenstudien“ aus dem Jahr 1933. Da glaubt man in ein lustiges Kinderbuch zu blicken: kopfüber und kopfunter bunte Figuren. Doch dazwischen bewegt sich etwas Unförmiges, unscheinbar Graues – und schwenkt eine Hakenkreuz-Fahne. Kein Zorn gegen die NS-Umtriebe ist da zu spüren. Feininger scheint vielmehr eine kleine Verirrung zu belächeln. Da beginnt die Leichtigkeit leichtfertig zu werden.

Lyonel Feininger: „Natur-Notizen“. Museum Ludwig, Köln (direkt am Hauptbahnhof) .Bis 17. April. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11 -18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 10 DM, Katalog 42 DM.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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