Als die große Wut verraucht war – Bilder des Expressionisten Ludwig Meidner

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Caféhauser waren für den Künstler Ludwig Meidner nicht nur gemütliche Orte. Manche Leute, die er dort beobachtet hat, wandeln sich im karikaturistischen Zerrspiegel zu bedrohlichen Wesen, zeigen gar tierhafte Fratzen. War Meidner ein Menschenhasser?

Meidner, 1884 in der schlesischen Provinz geboren, zog 1905 ins brodelnde Berlin. Er entwickelte sich zur „Nachteule“. Allzu gesellig verhielt sich der als Kauz geltende Mann zwar auch hier nicht, doch fand er in jenen Kneipen und Cafés eine allabendliche Heimstatt. Die Tasse Kaffee kostete nur 5 Pfennige, nachbestellen mußte man nicht. Da saß der zeitlebens mittellose Meidner also gut und billig im Warmen. Es blieben noch ein paar Groschen übrig fürs eine oder andere Glas Rotwein.

In der Kunsthalle Recklinghausen sieht man nun in 85 Beispielen, was er in der typischen Caféhaus-Mischung aus Einsamkeit und Bohème skizziert hat. Besonders am Vorabend und während des Ersten Weltkriegs wird der Strich des überzeugten Pazifisten aggressiv, es zucken zornige Blitze aus den Zeichnungen und Graphiken. Da hocken etwa die verhaßten „Stützen“ der spätwilhelminischen Gesellschaft salbadernd am Stammtisch, einer reckt seinen Schweinskopf.

Zerknitterte Zeitungsseiten

Wenige andere deutsche Künstler dieses Jahrhunderts (außer Max Beckmann) haben so oft ihr eigenes Gesicht dargestellt: Auch Meidners Selbstbildnisse kommen mit expressionistischem Furor daher. Selbst eine Zeitung, hinter der sich sein mißtrauischer Blick hervorwagt, ist heftig zerknittert, als falle auch sie der allgemeinen Zersplitterung anheim. Die Welt ist aus den Fugen; Menschengruppen geraten in einen Sog, der sie in die Hölle zu reißen scheint.

Doch dann die Umkehr: Kaum war Meidner mit solchen Bildern bekannt geworden, da wurde er ruhiger und wollte – nach all dem irrlichternden Nachtgewölk – nun auch mal die Tagseiten des Daseins hervorkehren.

Selbst als die Nazis den Juden Meidner ins Londoner Exil getrieben hatten, stieg die alte Wut nicht wieder auf. Die Stadt an der Themse mißfiel ihm: Er war von seiner geliebten deutschen Sprache isoliert, kannte kaum eine Menschenseele – und die Pubs waren halt keine Caféhäuser.

Da er sich Ölfarben nicht leisten konnte, malte er Aquarelle. Das Themenspektrum ist ähnlich wie ehedem, doch die Umsetzung völlig anders. Denn Meidner verankert seine Visionen nun kaum noch in gesellschaftlicher Realität, sondern verliert sich ins Allegorische und Anekdotische. Wie Mahnungen aus Erbauungsbüchern sehen nun etliche Bilder aus. Ein allgemeiner und somit unscharfer Ekel vor einer gierig-geilen Welt hat den Künstler erfaßt. Die Sexualität zeigt er als Sündenpfuhl. Es war in den prüden 50er Jahren.

Erst 1953 kehrte er dauerhaft nach Deutschland zurück, wo ihn die Kunstwelt nicht mehr wahrnahm, zumal er sich dem damaligen Trend zur Abstraktion verweigerte. Es war just die Kunsthalle Recklinghausen, die ihn der Vergessenheit entriß: 1963, drei Jahre vor seinem Tod, bekam Meidner in der Revierstadt seine erste große Nachkriegs-Ausstellung.

Ludwig Meidner: Straßen und Cafés. Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). Bis 12. Februar (Di-So 10-18 Uhr).

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 14 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Kunst & Museen abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.