Alle Menschen werden Brüder, wenn im Grill die Glut entfacht…

Ich geb's ja zu: Das (annähernd) kugelförmige Einstiegsmodell ist hier auch vorhanden. (Foto: Bernd Berke)

Ich geb’s ja zu: Das (annähernd) kugelförmige Einstiegsmodell ist hier auch vorhanden. (Foto: Bernd Berke)

Von den zirpenden Tierchen gleichen Namens mal abgesehen: Zur Goethezeit (oder so) hatte das Wort Grillen ungefähr die Bedeutung „Flausen im Kopf“. Einer, der Phantastereien zuneigte, galt als Grillenfänger. Schlagt’s nach im Grimmschen Wörterbuch.

Heute tritt das Wort im gänzlich anderen Kontext auf. Grillen ist die vielleicht liebste „Freizeit-Aktivität von Millionen, Tendenz steigend“ (um den gängigen Pressequatsch-Modus zu imitieren). Da sind sich z. B. Deutsche und Migranten türkischer Herkunft ganz einig. Und noch etliche andere. Vor dem Grill sind beinahe alle gleich. Lasset uns singen aus voller Brust, sehr frei nach Schiller und Beethoven: Alle Menschen werden Brüder, wenn im Grill die Glut entfacht…

Als wär’s in der Steinzeit

Prosaischer gesagt: Sobald die ersten Sonnenstrahlen im Frühjahr hervorschimmern, wird allüberall der Grill angeworfen. Vor allem mehr oder weniger fachkundige Männer versammeln sich um die Feuerstellen, als wär’s in der Steinzeit. Grille, wem ein Grill gegeben!

Natürlich werden rings um den Grill weder Smoothie noch Latte Macchiato geschlürft, sondern es werden vorzugsweise ein paar Fläschchen Bier verkostet. Die Hopfenkaltschale lindert ja wohl auch am besten dieses durchdringende Hitze-Gefühl. Aaaaah! Da muss auch das sonst bevorzugte Weinchen weichen.

Fleisch auf dem Rückzug?

Endlose Debatten kann’s darum geben, was wie und warum auf den Grill gehört und was eher nicht. Welche Saucen in Betracht kommen. Welche Metzger die besten seien. In den letzten Jahren haben sich allerdings vegetarische und vegane Fraktionen auch am Grill in Stellung gebracht. Kaum etwas Pflanzliches, das bei ihnen nicht auf dem Rost und in speziellen Folien landete. Doch nach wie vor haben die Fleischliebhaber die Oberhand, wenn auch mit Rückzugsgefechten. Wie sich denn überhaupt – als Reaktion auf all das Gemüsezeugs – eine Gegenbewegung etabliert hat, zu der beispielsweise „Fleisch-Boutiquen“ und ähnliche Etablissements mitsamt passender Propaganda-Presse zählen.

Angewandte Grillistik

Für Diskussionen (in branchenüblich „flotter Schreibe“ muss man natürlich schreiben: heiße Diskussionen) sorgt auch immer mal wieder die Grundsatzentscheidung oder auch Gretchenfrage des Grillens: Wie hältst du’s mit der Energie? Soll man den recht bequemen und weitgehend schmutzfreien Gasgrill vorziehen oder den rußig-authentischen Holzkohlegrill? Falls man den Letzteren wählt, welche von den zahllosen Kohlesorten wäre wofür am besten geeignet? Aber was sagt Gretchen, äh Greta dazu?

Tja, das Grillen ist mitunter eine Wissenschaft. Angewandte Grillistik, wenn man so will. Oder muss es Grillologie heißen? Egal. Aber damit das ein für allemal klar ist: Der elektrische Tischgrill geht gar nicht. Der ist was für, naja…

Manche Männer (Frauen hingegen kaum) halten sich enorm viel zugute auf ihre Grill-Expertise, man könnte auf den Verdacht kommen, es spiele dabei – neben einem gewissen Atavismus – auch Kompensation eine Rolle. Oft geht übermäßige Grillwut übrigens mit ständigen Handwerker-Projekten und geradezu exzessiven Baumarktbesuchen einher. Und man schaue sich an, welche überdimensionierten Grill-Boliden im Einsatz sind. Erinnern sie nicht an die unsäglichen SUV-Panzer? Auch die Zubehör-Ausrüstung hat es in sich – vom Schutzhandschuh über allerlei Gerätschaften wie Anzündkamine, Schaufeln und Zangen bis zum Reinigungs-Set.

Die Sehnsucht nach dem Herbst

Gehen die schier endlos langen Sommer zur Neige, in denen mindestens an jedem Wochenende dunstige Schwaden durch die Siedlungen gezogen sind, sehnen sich Grill-Skeptiker endlich, endlich in den Herbst hinein, in dem derlei Aktivitäten seltener werden. Grill-Industrie und die ihr hörigen Grill-Fanatiker haben indes so etwas Teuflisches wie „Wintergrillen“ ausgeheckt, auf dass die Glut nie und nimmer verlösche. Wird’s kälter, dann gibt’s eben Glühwein zum Grillgut. Gnade!

P. S.: Es soll sogar Leute geben (und hierbei sind dem Vernehmen nach Frauen führend), die zu mittleren bis größeren Grill-Events in der Nachbarschaft eines jener flinken Cocktail-Taxis in die Straße beordern. Na, denn Prost!

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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