Profifußball – schleichendes Gift / Michael Lentz‘ Fernsehfilm „Alles paletti“

Von Bernd Berke

Essen. Zunächst fällt auf, was „Alles paletti“ n i c h t ist: Der Film des Esseners Michael Lentz (geplanter Sendetermin: ZDF, 16. April, 19.30 Uhr) ist, obwohl im Ruhrgebiet gedreht, kein Revier-Film und er ist, obwohl Fußball die Handlung in Gang bringt, kein Fußballfilm.

Im Mittelpunkt steht vielmehr Kai Wodar (Levin Kress), genannt „Fips“, der vierzehnjährige Sohn des aus Jugoslawien stammenden Bundesligatrainers Milan Wodar (Branko Plesa). Dessen Verein „BlauWeiß“ (Vorbild Schalke?) ist abstiegsbedroht. Dies bekommt der Sohn an allen Ecken und Enden zu spüren. In der Schule vollziehen sogenannte Fans kurzerhand eine Sippenstrafe und demolieren Kais Fahrrad, der Vater wird im Abstiegsstrudel zunehmend auch als Erzieher hilflos. Für den Ernstfall hat er (zu Kais Entsetzen) bereits Kontakte nach Istanbul geknüpft – Jupp Derwall hat’s vorexerziert.

Der Einstieg in die Handlung erfolgt mit großer Geduld und Zähigkeit, wirkt unscheinbar, ja zunächst fast läppisch. Lentz nähert sich seinen Themen sehr vorsichtig von den Rändem her, tastet behutsam den Alltag ab. Und der ist nun einmal grau.

Das Innere des Stadions sieht man erst zum Schluß. Fußball ist denn auch eher das geheime Zentrum der Handlung, gleichsam ein zuerst kaum sichtbares Gift, das in den Alltag einsickert. Auch daß die Geschichte im Revier spielt, wird nie in den Vordergrund gestellt. Wohhuend: Das Ruhrgebiet ist hier eine weder gebeutelte noch glorifizierte Selbstverständlichkeit; selbstverständliche Heimat auch für Kai, der hier Freunde gefunden hat und nicht schon wieder entwurzelt werden will. Unter anderem deshalb fängt er auch allmorgendlich den Postboten ab und versteckt vor seinem Vater die schmutzigen Drohbriefe enttäuschter „Freunde“ des Vereins.

Kai ist 14. Also liegt es nahe, daß dies auch, eine Pubertätsgeschichte ist. Der erste Suff, die erste Liebe, ersterer komisch, letztere leidlich gefühlvoll ins Bild gesetzt. Den Weltschmerz allerdings hat Lentz durch die Figur „Rico“, den sterbenskranken Freund Kais, ein wenig zu dick aufgetragen. Mit makabren Sprüchen und einer gehörigen Portion Melancholie gibt Peter Lohmeyer dem „Rico“ zwar einen gewissen Aufmerksamkeitswert. Warum die Figur als solche aber notwendig ist, bleibt bis zum Schluß unerfindlich. Vielleicht ist es die Leidenschaft für alte Hollywood-Klassiker, die Lentz wohl mit „Rico“ teilt, die allerdings auch zuweilen mit ihm durchgeht. Da gibt es – verzichtbar – eine ganze Schwarz-Weiß-Sequenz mit den US-Stars von „damals“.

Der Schluß: Durch ein mit Ach und Krach erkämpftes Unentschieden seiner Mannschaft- gegen den Hamburger SV kann der Trainer seinen Kopf noch einmal knapp aus der sprichwörtlichen Schlinge ziehen. Keine Rettung, eher eine Verschnaufpause. „Alles paletti“? Bis auf Weiteres.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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