Monatsarchive: Dezember 1987

Im Sog der Verzweiflung – „Minna von Barnhelm“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Der Kriegsheimkehrer ist halb verkrüppelt. Ohne Geld, in Erwartung eines infamen Gerichtsverfahrens wegen angeblicher Bestechlichkeit, gibt er sich dem Sog der Verzweiflung hin. Das klingt fast wie ein bitterer Vietnam-Blues, doch es steht in Lessings „Minna von Barnhelm“. Der Mann, dessen „preußische Ehre“ beschmutzt wird, ist der entlassene Major von Tellheim.

In Urs Trollers Bochumer Inszeniemng bleibt freilich von Preußen keine Spur. Tellheim (Wolfgang Michael) ist ein Leidensmann, verhärmt, verhuscht, verwirrt, verwahrlost – ein Schatten von einem Menschen. In schäbiger Montur, das Haar strähnig, „wildgrubert“ er über die Bühne, ein Misanthrop, ein Monster des Menschenhasses; einer, der sich geradezu autistisch in sein Unglück vergräbt und sich einpanzert, der Genuß aus dem Leiden zieht. Nur manchmal blitzt, … Weiterlesen

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C. D. Friedrich – Bildvergleich wäre viel zu aufwendig / Experte: London kann kein Interesse an Klärung haben

Von Bernd Berke

Dortmund/Münster. Die ersten Wogen in Sachen Caspar David Friedrich haben sich gelegt: Nachdem – wie berichtet – die Londoner National Gallery Friedrichs „Winterlandschaft“ für 4,6 Mio. DM in Monaco ersteigert hat und das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte nachdrücklich einen Vergleich mit seinem Zwillings-Exemplar forderte, sollte jetzt die Wissenschaft das Wort haben – wenn sie es überhaupt bekommt.

Denn, so ein Experte des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) gestern zur WR: „In London kann man doch gar kein Interesse mehr an einem eingehenden, naturwissenschaftlichen Vergleich haben – jetzt, nachdem man so viel Geld für das angeblich echte Bild ausgegeben hat“. London habe sich riskanterweise auf eine rein stilkritische Analyse gestützt, also nicht auf naturwissenschaftliche Methoden zurückgegriffen.

Welche Methoden … Weiterlesen

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Kinder aus Nazi-Familien: Fluch der späten Geburt – Monolog-Folge „Schuldig geboren“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Draußen in der kalten Nacht geht, nervös kettenrauchend, ein Mann auf und ab. Es ist der Schauspieler Sven-Eric Bechtolf. Wir Theaterzuschauer sehen ihn durch die Fensterscheiben des Kammerspiel-Foyers, hören ihn via Mikrophon und Lautsprecher.

Hinter Bechtolf: (echte) Taxifahrer und ihre Fahrgäste, über den „verrückten“ Nachtwandler lachend. Noch weiter hinten, auf der gegenüberliegenden Straßenseite: das fernsehabendliche Flimmerlicht in den Wohnzimmern. Drinnen, im Foyer, laufen auch zwei Monitore, das Alltäglichste vom Alltäglichen zeigend, vorüberhuschende Autos.

Eine gespenstische Verzahnung: Drinnen ist draußen, draußen drinnen – und gestern ist heute. Die Texte, die hier gesprochen werden, sind authentisch. Sie entstammen Peter Sichrovskys Buch „Schuldig geboren – Kinder aus Nazifamilien“.

Sichrovsky, Jahrgang 1947, dessen Eltern als jüdische Emigranten in England lebten, … Weiterlesen

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Schurken, Helden und Kurtisanen auf edlem Büttenpapier – Holzschnitte zeigen japanisches Kabuki-Theater

Von Bernd Berke

Selm/Cappenberg. Im Teehaus ging es oft zu wie in „Dallas“. Dort konnte man, anders als hinter papierdünnen Wänden daheim, in sonorer Lautstärke üble Intrigen einfädeln – und das womöglich in Gegenwart kluger und schöner Kurtisanen. Solche Situationen waren und sind der Ausgangspunkt für Stücke des japanisehen Kabuki-Theaters, das – im Gegensatz zum höfischen No-Theater – für die breiten Volksmassen gespielt wurde.

Einen faszinierenden Einblick in diese fremdartige Bühnenweit der „Helden, Schurken, Kurtisanen“ (Ausstellungstitel) gewähren jetzt im Schloß Cappenberg 294 Holzschnitte nach Kabuki-Aufführungen. Zusammengetragen hat sie der Essener Sammler Hendrick Lühl (52), im Hauptberuf Jugendrichter.

Lühl hat sich auf Arbeiten der Holzschnitt-Meister aus dem Osaka des 19. Jahrhunderts spezialisiert und verfügt auf diesem Gebiet über eine bundesweit einzigartige … Weiterlesen

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Heinrich Böll: Vom Kinderfoto bis zum Altersgedicht – Erstmals umfassende Ausstellung in Köln

Von Bernd Berke

Köln. „Charakterliches Streben: zufriedenstellend; Geistiges Streben: zufriedenstellend; Religion: genügend; Deutsch: genügend“ – Kein sehr glänzendes Abiturzeugnis. Aus dem Menschen kann nicht viel geworden sein, könnte man meinen. Doch die mäßigen Bewertungen stehen auf dem Reifezeugnis, das am 6. Februar 1937 auf den Namen Heinrich Böll ausgestellt wurde.

Das Origiaaldokument ist eines von rund 450 Exponaten, die zur ersten wirklich umfassenden Böll-Ausstellung gehören. Am 21. Dezember, dem Tag, an dem der wohl bekannteste deutsche Nachkriegs-Schriftsteller 70 Jahre alt geworden wäre, wird die Zusammenstellung in der Kölner Zentralbibliothek (Josef-Haubrich-Hof) mit einer Ansprache von Walter Jens eröffnet.

In dem eingangs zitierten Zeugnis wurden auch die Verhältnisse geschildert, aus denen der Autor stammte: „Geordnetes Familienleben, doch sehr dürftige Verhältnisse. Der Vater, … Weiterlesen

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Neuer Leiter des Ostwall-Museums: „Kunst ist auch Politik“ – Ingo Bartsch skizziert sein Konzept

Von Bernd Berke

Dortmund. „Eine reizvolle Aufgabe“ erhofft sich der künftige Leiter des Dortmunder Museums am Ostwall, Dr. Ingo Bartsch (44), von seiner neuen Stellung, die er vermutlich im Februar oder März 1988 antreten kann. Bartsch, derzeit noch stellvertretender Chef des Museums Bochum, sagte gestern, er wolle „mit einigem Fingerspitzengefühl versuchen, die verhärteten Strukturen“ an dem Dortmunder Kunstinstitut „abzumildern“.

Er setze auf das pädagogische Geschick seiner Mitarbeiter. Durch didaktische Vermittlung sollten weitere Bevölkerungskreise an das Haus herangeführt werden. Gleichwohl bleibe sein Konzept offen auch für neue und neueste, womöglich noch nicht „abgesicherte“ oder gar verstörende Kunstströmungen.

Der neue Mann für Dortmund, ein gebürtiger Berliner, der an der dortigen Freien Universität studierte, investierte volle fünf Jahre in seine 1977 abgeschlossene Dissertation … Weiterlesen

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Solo für Bazon oder: Die ratlosen Ärzte am Krankenbett der Kunst

Von Bernd Berke

Witten. Vielversprechend war das Thema, grandios am Ende das Scheitern: Über „Krankheit und Gesundheit in der Kunst“ redeten sich im Wittener Saalbau einen Tag lang Experten für Kunst, Literatur und Psychologie die Köpfe heiß.

Nachmittags hielten sie hochfliegende Vorträge (Titelbeispiel: „Aus der Sintflut der Information zu gestalterischer Transformation?“), abends traktierten sie die schätzungsweise 100 zahlenden Zuschauer (Eintritt: 5 DM) mit einer Podiumsdiskussion, an deren Ende der Organisator, Dr. Ralph Driever, erschöpft bekennen mußte, man habe das Thema nicht annähernd ausloten können. „Arzte“ am Krankenbett der Kunst, ratlos.

Einen gewissen Genußwert konnte man der Hypothesen-Parade freilich abgewinnen, wenn man sich entschloß, das Ganze unter musikalisehen Gesichtspunkten anzuhören — sozusagen als „Diskussions-Serenade für fünf Stimmen und Publikumsbeteiligung“. Zwei angekündigte … Weiterlesen

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Wie Motive sich verwandeln – Graphik von Christian Rohlfs im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Daß er in erster Linie Maler, konnte Christiaa Rohlfs (1849-1938) auch nicht verleugnen, wenn er sich druckgraphischen Techniken zuwandte. Während andere Künstler ihre graphischen Arbeiten in mehr oder weniger hohen Auflagen herstellten, wahrte Rohlfs fast immer die Aura des Originals und beließ es jeweils bei einem Druckabzug. Dann freilich variierte er die Motive durch Übermalungen und Uberzeichnungen vielfach.

Einen staunenswerten überblick zum gesamten (!) Motivumfang des graphischen Werks von Rohlfs, der lange Jahre in Hagen lebte, kann man sich nun im Dortmunder Ostwall-Museum verschaffen (Eröffnung: Sonntag, 17 Uhr; Dauer der Ausstellung: bis 7. Februar). Maßgeblich an der Auswahl beteiligt sind die Dortmunder Galerie Utermann, das Essener Folkwang-Museum (dorthin wandert die Ausstellung im April 1988) und nicht … Weiterlesen

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