Dem alten China ins Auge blicken – Famose Dortmunder Ausstellung „Chinas Goldenes Zeitalter“

Von Bernd Berke

Dortmund. Unter einer Besucherzahl von 200.000 fängt man in Dortmund gar nicht erst zu rechnen an. Doch es ist keineswegs Größenwahn, was Macher und Förderer der großen Dortmunder Ausstellung zur Tang-Dynastie gestern an den Tag legten. Wenn es nach Bedeutung und Qualität geht, müßte „Chinas Goldenes Zeitalter“ die Erfolgs-Schätzungen tatsächlich spielend übertreffen.

Selten wird man eine archäologische Ausstellung finden, bei der man einer fernen Vergangenheit so direkt ins Gesicht blicken kann. Es ist kaum zu fassen, wie unmittelbar und frisch die Exponate wirken. Besonders die Gesichter der Menschenfiguren zeugen von einer vitalen Charakterisierungs-Kunst, die einen sofort gefangen nimmt. Die Kameltreiber und Reiter aus „grauer Vorzeit“ sind z. B. mit Blicken und Bewegungen dargestellt, als hätten sie gestern noch gelebt. Wenn man es nicht wüßte, würde man gar nicht glauben, daß all diese kostbaren Stücke aus der Zeit von 618 bis 907 n. Chr. stammen.

Die „Inszenierung“ der Dortmunder Schau hat das Ihre geleistet, um die Objekte ins rechte Licht zu rücken. Geradezu ein erhabenes Gefühl vermittelt jener Gipfelpunkt der Ausstellung rund um den 18 Tonnen schweren Sarkophag des altchinesischen Heerführers Li Shou. Hier hat man eine Achse gebildet, so daß die Besucher durch ein Portal auf eine steinerne Schildkröte (sie birgt die Grabinschrift) blicken. Dahinter erhebt sich machtvoll der Sarkophag.

Doch neben solch monumentalen Momenten hält der Rundgang auch viele, gleichsam intimere Situationen bereit. Man kann mit den Exponaten beinahe vertraulich werden, so geschickt sind sie zwischen den „Wänden aus Leinentüchern verteilt, die die Abfolge der 120 Prunkstücke gliedern. Einziger Nachteil: Bei großem Andrang dürfte es zwischen den zeltartig gehängten Bahnen etwas eng werden.

Die Damen waren frei – und modisch

Die Tücher sind eine dezente Anspielung auf die berühmte Seidenstraße, an deren Endpunkt die alte chinesische Hauptstadt Chang’an (heute Dortmunds Partnerstadt Xi’an) lag. Handel und Wandel entlang der Seidenstraße belegen u.a. alte Münzen und Darstellungen fremdländischer China-Gäste mit imposanten Bärten.

Von Chang’an ausgehend, erfuhr das Reich der Mitte in der Tang-Dynastie eine Blüte. die bis heute wirkt. Sogar Rockgruppen nennen sich heute in China nach Tang-Begriffen. Kein Wunder! Es war, zumindest für den Adel, eine Epoche der Freiheit. Auch Frauen lebten freizügig und selbstbewußt. Die Sache mit den eingeschnürten Krüppel-Füßchen kam erst viel später.

Doch der Mode huldigten auch die Tang-Damen. Einige herrlich farbige Stücke beweisen es. Anhand dieser Frauenfiguren kann man sogar den Wechsel der Haartrachten und Kleider studieren. Auch der Körperbau war der Mode unterworfen. Anfangs hatte man(n) es lieber schön schlank, ab dem 8. Jahrhundert dann gern etwas fülliger. Und die Spiegel, in denen sich die Schönen betrachteten, sieht man in Dortmund auch.

Spektakulärer als die Terrakotta-Schau

Famos die handwerkliche Qualität der Keramik. Makellos weißes Steinzeug ist hier zu sehen, wie es in jener Zeit schwerlich anderswo auf der Welt entstanden sein dürfte. Dazu all‘ die prachtvollen Löwen wen und Drachen, die buddhistischen Skulpturen und Schriftsäulen (Stelen) – man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Die 1990 in Dortmund gezeigte Terrakotta-Ausstellung, die eher militärische Aspekte hervorhob, war weniger spektakulär.

Wer wollte es unter diesen glücklichen Umständen den chinesischen Ausstellungs-Partnern verdenken, daß auch sie am Erfolg teilhaben wollen. Acht Prozent der Eintrittsgelder fließen ihnen zu. Außerdem bekamen sie 300 000 Dollar „Bereitstellungsgebühr“. Dafür übernahmen sie auch einen Teil der schwierigen Transportarbeiten.

Schließlich: Dortmund erhofft sich gegen starke Konkurrenz u. a. in Essen („Von Monet bis Picasso“) und Hildesheim („Bernward und die Ottonen“) von der Ausstellung erheblichen Image-Gewinn und viele Besucher von außerhalb, die Kaufkraft mitbringen.

„Chinas Goldenes Zeitalter“. Dortmund. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Königswall 14. Ab Sonntag, 22. August. Bis 21. November. Täglich 10 bis 20 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog (312 Seiten) 44 DM.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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