Der Fernsehapparat ist ein seltsames Haustier – Ausstellung zeigt den Umgang mit der „Glotze“ als Ritual

Von Bernd Berke

Essen. Erst stand er verschämt an der Wand und mochte seine häßliche Kehrseite nicht zeigen. Dann rückte er immer mehr in die Mitte des Zimmers, wurde rundum ansehnlicher, ja manchmal fast so schön wie eine Skulptur. Doch demnächst wird er sich wieder an die Wand klammern, denn dann wird er superflach und riesengroß sein. Die Rede ist vom Fernsehapparat, der sich in den letzten 40 Jahren kreuz und quer durchs Wohnzimmer bewegt hat – wahrlich ein geheimnisvolles „Haustier“.

Mit seiner neuen Ausstellung will das Essener Design-Zentrum Nordrhein-Westfalen uns das alltägliche Gerät wieder ein wenig fremd machen. Man hat die vielbeschworene „Exotik des Alltags“ im Sinn und möchte den Umgang mit der „Glotze“ etwa so zeigen, wie ein Völkerkundler magische Rituale beschreibt.

Kopfschmerzen mit der TV-Lupe

Tatsächlich gibt es auf diesem Gebiet die seltsamsten Dinge: War es etwa nicht exotisch, daß manche Leute sich früher ein kleines TV-Gerät kauften, das Bild dann mit einer Fernseh-Lupe aufblähten oder mit monotonen Farbfolien Pseudo-Color genießen wollten? Nun, zumindest war es kopfschmerzträchtig, denn das flimmernde Zeilenraster wucherte natürlich mit. Nicht weniger merkwürdig, daß heute offenbar recht viele Leute einem absurden Hobby frönen: Sie stieren ohne Decoder in den verschlüsselten Pay-TV-Kanal „Premiere“ und lassen bei verzerrten Bildfetzen ihre Entzifferungs-Phantasie spielen: Was mag da wohl laufen?

Die Essener Schau macht klar, wie sehr das Fernsehen den Alltag durchdrungen hat: Kaum noch ein Kinderspiel ohne optische oder inhaltliche Bezüge zum TV. Postkarten in Bildschirmform. Plattencover, deren Stars gleich vom Fernseher abfotografiert wurden. Sodann eine Flut von Werbegeschenken („Giveaways“) vor allem der Privatkanäle – die Tagesschau auf der Streichholzschachtel, das Logo der neuesten RTL-Produktion auf T-Shirts. Und auch das gemeine Knabbergebäck mutierte ja irgendwann zur „Telebar“-Schachtel mit fernsehgerecht unterteilten Häppchen.

Anheimelnde Runde am Nierentisch

In den 50er Jahren ging’s anheimelnd zu, da war Fernsehen tatsächlich noch Heim-Kino, man saß in gebannter Runde mit der halben Nachbarschaft zusammen. In Essen ist eine komplette Fernsehstube von damals aufgebaut, mit wuchtiger Truhe, Tulpenlampen, Nierentisch und CocktaiI-Sesseln. Ja, so war es.

Und wie wird es sein? Natürlich multimedial. Der Fernseher ist bald nur noch Durchgangsstation, ein Gerät unter vielen, allseits verkabelt und vernetzt. In der Abteilung „Zukunft“ dürfen die Besucher übrigens auch elektronisch mitspielen. Da wird man wohl die Kids finden.

Wandelbar bleiben die Gerate sowieso. Da „verkleiden“ sich die Apparate als Motorradhelm oder gar als aufgeschlagenes Buch. Damit man vor lauter Wechselfieber nicht gleich das ganze Gerät wegwirft, gibt es Designer-Rahmen, mit denen die „Kiste“ jeden Tag anders aussieht.

Apropos wegwerfen. Das muß nicht sein. Selbst ein verkohltes Gerät kann nämlich ausstellungstauglich sein. In Essen ist solch ein Exemplar zu sehen, von der Hitze grotesk verformt. Man hat es übrigens eigens zerstört, sozusagen mit viel Liebe – bei 250 Grad im Emailofen. Zur Nachahmung keinesfalls empfohlen!

„Unser Fernsehen! Vom Pantoffelkino zum Home-Terminal“. Design-Zentrum NRW. Essen, Hindenburgstr. 25-27. 16. Dezember 1992 bis 31. Januar 1993. Geöffnet Di.-Fr. 10-18 Uhr, Sa. 10-16.30 Uhr.

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(in ähnlicher Form auch in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 23. Dezember 1993)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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