Von Bernd Berke
Max Frischs Roman „Homo faber“ (1957) handelt von einem Ingenieur, der fest an den Segen der Technik glaubt. Über deren angeblich verläßliche Rationalität hinaus sucht dieser Walter Faber nichts – keine Kunst, keine Mythen, keine Träume.
Doch dann packt ihn das Schicksal: Zunächst in Form technischer Pannen, dann mit Urgewalt wie in altgriechischen Drama zieht ihn der große Herrscher Zufall ins Chaos. Dieser Stoff hat Volker Schlöndorff gereizt, der schon einmal einen wichtigen Roman der 50er Jahre (Günter Grass‘ „Blechtrommel“) verfilmt hat.
Als solle man zeitlich vollends in die 50er Jahre zurückversetzt werden, beginnt der Film mit einer Schwarzweiß-Sequenz, die sich dann aber „einfärbt“; leider, möchte man seufzen, denn: In aller Welt, durch die der rastlose Faber jettet, entdeckt die Kamera jetzt Postkarten-Klischees und Folklore. Buntes Gewimmel in Mexiko, „typische Lokale“ in Italien und Griechenland sowie herrliche Geheimtip-Hotels am Wegesrand. In Paris ragt im Hintergrund der Eiffelturm auf, in Athen erhebt sich die Akropolis, damit wir bloß wissen, wo wir uns befinden. Dazu erklingen von der Tonspur meist melancholische, etwas abgegriffene Piano-Töne. Gebrochen wird diese stets leicht süßliche Perspektive aber einige Male durch bewußt unscharfe, verwackelte Handkamera-Aufnahmen.
Im weitläufigen Ambiente erzählt der Film zunächst eine geradezu paradiesische Liebesgeschichte, eine Idylle ohne jegliches Mißverständnis. Faber trifft auf einem Ozeandampfer zwischen New York und Paris die blutjunge, kunstversessene Elisabeth (Julie Delpy), die er liebe- und ahnungsvoll „Sabeth“ nennt und mit der er eine Reise durch Europas Süden bis nach Griechenland unternimmt. Es ist — ohne jede Ironie — wirklich wundervoll, diesem Idealpaar zuzusehen. Ein Traum, den man gern mitträumt.
Doch Sabeth – antike Tragik in Athen — ist in Wahrheit Fabers Tochter aus einer Verbindung mit einer Jüdin im Deutschland der 30er Jahre. Angesichts dieser Enthüllung scheint es nun nachträglich so, als habe Schlöndorff die ganze Idylle vorher nur aufgebaut, um sie desto nachhaltiger zu vergiften, und dies sogar buchstäblich: Am Umschlagpunkt der Geschichte sieht man einen Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch: im selben Moment wird Sabeth von einer Giftschlange gebissen. Unschwer erkennt man das biblische Motiv: Schlange und Vertreibung aus dem Paradies.
Im Film wird auf die Stimme eines Ich-Erzählers verzichtet, die Reflexionen aus dem Roman wiedergeben könnte. Die Figuren denken hier also wenig nach, sie sind einfach da. Folglich überwiegt bei weitem die bloße Love-Story, der Konflikt zwischen Technik und Mythos kommt fast nur noch als Anekdote vor. In diesem Sinne ist Sam Shepard übrigens genau der richtige Hauptdarsteller. Sein Faber stammt nie und nimmer – wie in der Buchvorlage – aus der biederen Schweiz, sondern ist eben durch und durch Amerikaner. Er ist auch nicht nach europäischer Art kühl rational, sondern halt „cool“. All dies mag die internationale Kinoauswertung erleichtern. Aber Schlöndorff hat einen enttäuschenden Film gedreht.