Schwierige Kindheit im Land der Kaffeetafeln – Renan Demirkans Buch „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“

Von Bernd Berke

Die Türkei als Land, wo es den herrlichen „Schwarzen Tee mit drei Stück Zucker“ gibt, Deutschland als Land der reich gedeckten Kaffeetafeln – mit welchen Problemen wächst ein Mädchen auf, das aus der einen Welt in die andere kommt?

Renan Demirkan, Jahrgang 1955, früher u. a. am Dortmunder Schauspielhaus engagiert, dann vor allem durch die Hauptrolle in der TV-Serie „Reporter“ bundesweit prominent geworden, hat darüber aus eigener Erfahrung ein Buch geschrieben. Es ist lesenswert – nicht nur des Inhalts wegen.

Eine Frau in der Entbindungsstation. Es gibt Komplikationen, man wird ihr Kind „holen“ müssen. Sie wartet auf die Ärzte, zählt ungeduldig die Minuten. Doch immer wieder schweifen ihre Gedanken ab – in die eigene Kindheit und Jugend. Augenblicke für eine Zwischenbilanz ihres Lebens.

Die Frau ist schon als Kind aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Trotzdem ist sie hier immer etwas fremd geblieben. Aber ihrer Herkunft ist sie erst recht entfremdet. Das mag sich vielleicht etwas banal anhören, doch der Bericht, der nun folgt, füllt diesen Sachverhalt mit Leben und Bedeutung. Er ist ganz konkret und dürfte doch für viele Lebensläufe stehen.

Zwar bildet Renan Demirkans Biographie die Grundlage, doch kommt die Schauspielerei nur ganz am Rande vor. Es geht hier um andere Dinge. Die Eltern kommen als Arbeitsemigranten mit dem Mädchen und seiner Schwester nach Deutschland. Sie erwarten von sich und den Töchtern Anpassung und Wohlverhalten, sie sind beeindruckt von der „Sauberkeit und Ordnung“ der deutschen Straßen. Lärm, Hektik und Kälte in jederlei Hinsicht sind die Kehrseiten.

Der Vater, Ingenieur mit heimlicher Leidenschaft für Kultur, vergräbt sich in die Bücher deutscher Philosophen, über seinem Lesesessel hängt ein verpflichtender Spruch von Immanuel Kant – der Einwanderer denkt „preußischer“ als die Deutschen, hört Klassik statt orientalischer Musik. Als er bei einem Dorfschützenfest die Blaskapelle hört, ruft er irritiert aus: „Einen Beethoven haben sie. und was spielen die?“

Die Mutter klammert sich derweil verzweifelt-hilflos an den Koran. Die Töchter entdecken freilich ein ganz anderes Deutschland als dasjenige Kants und Beethovens, nämlich das Land des allsonntäglichen Kaffeetrinkens, das Land der Käse-Eckchen und der Messerbänkchen, das Land, in dem alte Jungfern aufblühen und sich extra fein machen, wenn Vico Torriani im Fernsehen kommt und wo zwischen den Mietskasernen Leute wie die „Underberg-Tante“ oder die „Bratwurst-Monroe“ ihr abstruses Leben aufführen.

Die Mädchen wollen rasch so sein wie deutsche Kinder sie wollen sonntags an der Kaffeetafel sitzen, zu Ostern Eier suchen und zu Weihnachten einen Tannenbaum haben. Die islamisch erzogenen Eltern können sich nur schwer mit solchen Wünschen abfinden.

Hierzulande noch unter den ersten schulpflichtigen Ausländerkindern, werden die Schwestern jedoch trotz ihrer Anpassung in keine Klassenclique aufgenommen, auch für die meisten Lehrer bleiben sie letztlich immer „die aus Ankara“. Ganz schlimm wird es in der Pubertät. Da machen die Deutschen locker ihre ersten Liebeserfahrungen, während die beiden türkischen Mädchen von den Eltern ängstlich zu Hause versteckt werden – und das am Ende der 60er Jahre, als der aufsässige APO-Geist („Make Love not War“ – Liebe statt Krieg) auch in die Schulen weht. Mit 18 zieht die Hauptfigur zu Hause aus, kellnert sich das Geld fürs Abitur zusammen – endgültiger Bruch mit den Eltern? Eine Erfahrung eint die Generationen jedenfalls: Sowohl Tochter als auch Vater stellen bei getrennten Fahrten nach Anatolien fest, daß sie dort längst nicht mehr heimisch sind.

Damit die Sicht nicht auf die beiden Mädchen und ihre Eltern verengt bleibt, hat Renan Demirkan immer wieder präzise Skizzen anderer Lebensläufe eingeblendet, die jeweils neue Aspekte deutsch-türkischen Lebens kurz aufleuchten lassen. Auch ein Freund in Dortmund spielt da eine Rolle.

Die schönsten Stellen des Buchs: jene Träume von der Vereinigung der verschiedenen Kulturen, die Hoffnung auf Heilung des Risses, der mitten durch jedes Leben geht. Da sehnt sich die werdende Mutter nach der Verpflanzung anatolischer Sonne und Maulbeerbäume ins komfortable Köln oder nach einer Verschmelzung der Religionen. Zitat: „Dann werden wir mit dem christlichen Tatendrang aufwachen, in liebevoller, moslemisch gelassener Art, die klugen jüdischen Weisheiten leben und abends mit der Hoffnung auf Wiedergeburt in Buddhas Schoß einschlafen“…

Renan Demirkan: „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“. Kiepenheuer & Witsch. 139 Seiten, 28 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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