„Gekreuzigter“ in der westfälischen Provinz – Wilhelm Morgners Graphik in seiner Geburtsstadt Soest

Von Bernd Berke

Soest. Zu den Fixpunkten in der Kunstlandschaft zählt Soest nicht unbedingt. Doch immerhin arbeiteten dort zeitweise solche Berühmtheiten wie Christian Rohlfs und Emil Nolde; nicht zu vergessen ein bekannter Sohn der Stadt: Und weil es jetzt genau hundert Jahre her ist, daß Wilhelm Morgner (27.1.1891-1917) in Soest geboren wurde, würdigt man hier das Werk dieses Expressionisten.

Erstmals in dieser Fülle sind Morgners graphische Arbeiten wie Holz- und Linolschnitte, Lithographien und Radierungen versammelt. Außerdem werden einige rare Unikate gezeigt, nämlich nachträglich aquarellierte Druckgraphiken aus Privatbesitz. Die rund 80 Graphik-Exponate stellen nur einen winzigen Ausschnitt aus Morgners Gesamtwerk mit seinen etwa 2000 Zeichnungen und 250 Gemälden (Retrospektive ab April in Münster) dar, geben aber doch einen gewissen Einblick in seine Entwicklung.

Der früh verstorbene, im August 1917 nach der Schlacht von Langemarck vermißt gemeldete Morgner hat sich nur selten über seine engere westfälische Heimat hinausbewegt. Bildnisse wie jenes eines Soester Originals, des sogenannten „Krankenhauskaspar“, zeugen von enger Bindung an Land und Leute. Doch gleichzeitig litt Morgner, der immerhin an einer Ausstellung der Gruppe „Blauer Reiter“ und an der wegweisenden Kölner „Sonderbundausstellung“ (1912) teilnahm, in der westfälischen Provinz sehr unter geistiger Enge. Das drückt sich verdeckt in seinen häufigen biblischen Motiven aus, in denen er sich gar mit dem Gekreuzigten oder mit gegeißelten Gestalten identifiziert. Wie sehr sich Morgner in Westfalen isoliert fühlte, belegen auch seine Briefe.

Einen motivischen Haupstrang bilden – neben Bibel-Bildern und Porträts – Szenen aus dem ländlichen Arbeitsleben, zunächst in sehr konventioneller Auffassung, hernach auch schon mal vorsichtig ins Ornamentale oder Abstrahierende tastend. Die Mehrzahl der Graphiken läßt allerdings ahnen, daß der junge Morgner sich noch in unsicheren Erprobungs-Phasen befand. Bildtitel wie „Abstrakte Form“ können über solche Unentschlossenheit nicht hinwegtäuschen; sie stammen gar nicht von Morgner selbst, sondem von schlecht beratenen Nachlaßverwaltern.

Doch Morgner fand auch einige überzeugende formale Lösungen, so etwa beim Spitzenstück der Ausstellung, der in mehreren Varianten gezeigten „Tierdressur“. Da ist die gewaltsame Beziehung zwischen Mensch und Natur in ein Dreiecksmuster. einbezogen, das der Komposition Halt gibt. Wer weiß, was Morgner hätte schaffen können, wäre ihm mehr Lebenszeit vergönnt gewesen.

Meist sind die schwarz-weißen erheblich stärker als ihre farbigen Pendants. Zuweilen läuft Farbigkeit sogar auf eine Trivialisierung hinaus, sie mutet dem Betrachter dann keine Seh-Arbeit mehr zu, sondern nimmt ihm jede Anstrengung ab. Dem großen Vincent van Gogh, dessen Bilder er im damaligen Hagener Folkwang-Museum kennenlernte, hat Morgner wohl als Außenseiter mehr geglichen als in künstlerischer Hinsicht.

Wilhelm Morgner, Graphik. Wilhelm Morgner-Haus, Soest (direktam Patrokli-Dom). 27.1. bls 17.3. Katalog 38 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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