Das Ziel der Kunst kann die Reklame sein – Wuppertaler Retrospektive des Konstruktivisten Walter Dexel

Von Bernd Berke

Wuppertal. Reklame war für ihn kein Anhängsel der Kunst, sondern beinahe ihr Ziel: Wie so viele Künstler der ersten Jahrhunderthälfte, hat auch Walter Dexel (1890-1973) mit seinen Arbeiten ins Alltagsleben hineinwirken wollen. Für die Stadt Frankfurt entwarf er gar eine ausgefeilte „Reklame-Ordnung“, die allerlei werbliche Aussagen zum Stadtbild komponieren sollte.

Dexel, an den jetzt mit einer breit angelegten Retrospektive in Wuppertal erinnert wird, war von Haus aus Kunst-Wissenschaftler und zeitweise selbst Ausstellungsmacher mit besten Kontakten zu „Szene“. Es mag sein, daß ihm all sein Hintergrundwissen bei seiner Entwicklung als bildender Künstler zuweilen im Wege gestanden hat, denn der Autodidakt Dexel folgte bis in die 30er Jahre so getreulich den aktuellen Strömungen der Kunst, daß man ihn fast einen ordentlichen Sachwalter der Moderne nennen könnte. Der Eindruck, daß es ihn existentiell zum Schaffen gedrängt hätte, stellt sich nicht ein.

Irgendwann Anfang der 20er Jahre hatte sich sein Werk – beeinflußt von der holländischen De Stijl-Bewegung – auf geometrische Abstraktion und Konstruktivismus „eingependelt“. Es herrschten klare Farben, es dominierten Rechtecke und Quadrate, in immer neue Proportionen und Verhältnisse zueinander gebracht. Dexel entwickelte ein souveränes, hernach schon geradezu routiniertes Raum- und Formverständnis.

Wie fatal solche Verselbständigung der Form sein kann, zeigt sich besonders deutlich anhand einer Porträtserie aus dem Jahr 1933. Diese Prominenten-Köpfe, Gesiechter in Kürzelsprache, sind aus geometrischen und graphischen Elementen aufgebaut. Ganz unterschiedslos und ohne jede erkennbare Emotion hat Dexel z. B. Hitler, Lenin, Brüning, Pressezar Hugenberg und einen Rabbi nebeneinander gesetzt. Alles egal, sobald es nur künstlerische Form angenommen hat? Weit weniger „Bauchschmerzen“ verursachen Dexels Formfindungen, wenn er etwa mit typographischen Elementen arbeitet und einzelne Buchstaben gleichsam zu figürlichen „Hauptpersonen“ von Bildern macht.

Hochinteressant auch seine Bühnenbildentwürfe (u. a. für Bert Brechts „Mann ist Mann“), seine Werbeprojekte („Persil bleibt Persil“), seine auf Breitenwirksamkeit angelegten Vorzeichnungen für Straßenwegweiser oder Planungen für Straßenbeleuchtung. Auch als Plakatgestalter, der ausschließlich mit Schrift arbeitete, überzeugt der gebürtige Münchner.

Bis heute rätselhaft ist das abrupte Abbrechen seiner Produktivität sofort nach 1933. „Vorsichtshalber“ gleich Mitglied der NSDAP, geriet Dexel einige Zeit später doch in deren Visier und wurde 1935 als „unzuverlässig“ aus der Partei ausgeschlossen. Ausgerechnet seine recht maßvoll verfremdete Arbeit „Die Lokomotive“ war dann 1937 Bestandteil der Ausstellung „Entartete Kunst“; erstaunlich, weil solch ein Bild den Nazis kaum zu Denuziationszwecken dienen konnte.

Nach dem Krieg alsbald als NS-„unbelastet“ eingestuft, begann Dexel erst wieder in den 60er Jahren Bilder zu malen. Es sind dies nur noch recht laue Arbeiten, nicht mehr getragen von einer breiten Bewegung wie noch in den 20er Jahren.

Walter Dexel: Bild – Zeichen – Raum. Wuppertal, Von der Heydt-Museum, Turmhof 8 (Elberfeld). 3. Februar bis 17. März. Katalog 38 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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