Nach der tierischen Orgie kommt Katzenjammer – Jelineks „Raststätte oder sie machens alle“ und Christoph Heins „Randow“ bei den Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Welch ein Wechselbad beim 20. Mülheimer Dramatikerwettbewerb: Nach einer wüsten Bühnenorgie mit Elfriede Jelineks „Raststätte oder sie machens alle“ war – wie zur Herabstimmung der Gemüter – Christoph Heins „Randow“ in einer kreuzbraven Inszenierung zu sehen.

Zwischen hochfliegenden Freiheits-Träumen und den Niederungen der Freizeit-Gesellschaft ist der Mensch längst vor die Hunde gegangen, zumal als sexuelles Wesen. Das jedenfalls will uns Elfriede Jelinek mit dem „Raststätten“-Stück eintrichtern.

In Mülheim gastierte ein Regie-Attentat aus den Reihen der deutschen Theater-„Spaßguerilla“: Frank Castorfs Inszenierung vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Castorf stampft den feministisch grundierten und rhetorisch streckenweise unangenehm pompösen Text in Grund und Boden. Am Schluß muß sogar eine an intimen Stellen aufgeregt blinkende und wienerisch schwadronierende Kunst-Figur herhalten, die der Jelinek nachgebildet ist: die Autorin als Sexpuppe. Gemeiner geht’s nimmer.

Castorf hat Frau Jelinek mal als eine Art „Krampfhenne“ bezeichnet (und sich dabei bedeutend drastischer ausgedrückt, als wir’s hier wiedergeben mögen). Er mag auch ihren „Raststätte“-Text nicht. Doch indem er alles zuschanden reitet, wird er dem Ingrimm der Vorlage auf Umwegen überraschend gerecht.

Die Jelinek setzt zwei Ehepaare und groteske Randfiguren an einer Autobahn-Raststätte aus. Die Frauen, die sonst bei ihren Gatten spuren, wollen einmal die Sau rauslassen. Dazu haben sie sich per Kontakt-Inserat mit einem Elch und einem Bär verabredet.

Extremsport für das sexuelle Punktekonto

Nach vollzogenem Extremsport mit zwei bluttriefenden Burschen heißt es lapidar: „Mit einem Tier auf dem Klo – das ist doch schon was.“ Füllt sozusagen das Porno-Punktekonto. Doch im Grunde herrscht Depression nach dem Exzeß, zumal in den Kostümen sich ausgerechnet die Ehemänner verborgen haben.

Grundmuster des Textes, der hierin geradezu „katholisch“ anmutet: Tierhafte Triebabfuhr zieht stets tiefste Trauer nach sich. Erst legen sie hündisch los, dann gibt es Katzenjammer.

Reichlich rinnen alle Körpersäfte. Zudem wird kübelweise (künstlicher, aber täuschend echt wirkender) Kot auf Leiber und Bühne geschmiert. Einige Zuschauer ließen sich tatsächlich provozieren und riefen „Pfui !“ Den meisten kam derlei endlos angehäufte Zumutung in der Summe freilich fade vor. Man sollte diesem verquast-bemühten Stück keinen Preis angedeihen lassen. Allerdings verdient es just eine solche Inszenierung.

Balsamisch ging’s hingegen bei Christoph Heins „Randow“ zu. Der erzählt eine ostdeutsche Leidensgeschichte mit einem Realismus auf Sparflamme. Der Text glimmt nur vor sich hin. Eine Frau, die sich in der DDR-Bürgerbewegung engagiert hat, will nun ihre Ruhe genießen und zieht sich zum Malen in ein Natur-Idyll an der Grenze zu Polen zurück. Doch eine fatale Koalition aus ehemaligen Stasi-Leuten, Rechtsradikalen und gierigen „Wessis“ vertreibt sie aus dem vermeintlichen Paradies.

Hein, dem wahrlich schon prägnantere Stücke geglückt sind als diese wie mit Spinnweben durchwirkte Elegie, arrangiert seine übergroße Themenfülle betulich, wird darin allerdings noch übertroffen von der unbeholfenen Einrichtung des Dresdner Staatstheaters.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 4 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Theater abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.