Die Kunst kommt jetzt auch via Bildschirmtext – Mülheim: Erster Überblick zur „Btx-Art“

Von Bernd Berke

Mülheim. Btx-Art“, also Kunst fur Bildschirmtext (,,Btx“), stellt jetzt in (zumindest) bundesdeutscher Premiere das Städtische Museum in Mülheim/Ruhr vor.

Wie kommt die Kunst ins Btx-Sytem, wie kommt der Btx-Kunde an die Kunst? Der Künstler wird (gegen Gebühr, die bald enorm steigen wird) Anbieter beim 1984 bundesweit eingeführten Btx-System. Mit entsprechendem technischen Gerat muß er nun jeden Bildschirmpunkt einzeln schwarzweiß oder farbig gestalten. Das ist aufwendig, denn die Farb-,,Palette“ ist dabei äußerst vielfältig, und ein Bild erfordert einige hundert Punkt-Bestimmungen. Nicht jede Kunst läßt sich so erzeugen, denn das Auflösungsvermögen von Btx ist zwar schon besser, aber keineswegs perfekt geworden; ein Punkt ist etwa einen Quadratmillimeter groß, was ein relativ grobkörniges Bild ergibt.

Waren anfangs praktisch nur großflächige oder konstruktivistische Bilder möglich, so sind nun auch schon etwas filigranere Zeichnungen darstellbar. Die Bilder lassen sich nicht nur flüchtig flimmernd betrachten, sondern auch ausdrucken oder aufzeichnen, und zwar mit einem Ton-Cassettenrekorder, dessen akustische Signale von einem Decoder wieder in Bilder ,,zurückubersetzt“ werden. Solche Möglichkeiten machen das Medium auch bedingt museumstauglich. In Mülheim sieht man die Ausdrucke sogar gerahmt – eine Reminiszenz an altgewohnte museale Betrachtungsweisen; natürlich gehen dabei Flimmer- und Bewegungseffekte verloren. Und noch einen Weg gibt es zur Btx-Kunst in Mülheim, nämlich den direkten Zugriff auf die aktuell gespeicherte Kunstproduktion.

Wie wählt man Kunst an? Nötig sind ein speziell ausgerüstetes TV-Gerüt und ein ,,Modem“ als Zusatzeinrichtung am Telefon. Über Telefonleitung lassen sich dann alle Btx-Kunst-Anbieter „anzapfen“ – via Zentral-Computer in Frankfurt, aber zum Ortstarif.

Volker Hildebrandt, Künstler aus Duisburg, von dem ein Großteil der ausgestellten Arbeiten stammt, nimmt für eine Anwahl seiner Bilder meist noch eine Betrachtergebühr von 0,10 DM. Im Schnitt wurden seineWerke rund 150 mal pro Monat abgerufen. Hildebrandt befaßt sich vor allem mit bildlichen Umsetzungen des Begriffs „Bildstörung“; verwirrend flimmernde Rasterfelder zeigen ein selbstzerstörerisches, wildgewordenes Medium. Hildebrandt hat außerdem eine riesige gemalte ,,Bildstörung“ in Mülheim aufgestellt, deren Raster den Betrachter in einer begehbaren Trommel („Rosa Schnecke“) ganz umschließt.

Neberi Hildebrandts Btx-Galerie sind auch Pionierarbeiten dieser jungen Kunstform in Mülheim zu sehen. Bei der ,,Neuen Presse- /Medien-Gesellschaft“ in Ulm befaßten sich ab 1981 auch prominentere Kunstler wie Otto Herbert Hajek, Ansgar Nierhoff und Heinrich Siepmann mit den Anfangsgründen des Mediums. Inzwischen hat die Offenbacher Hochschule fur Gestaltung sich mit Anwendungs-Experimenten an die Spitze gesetzt.

Die Mülheimer Ausstellung in der ,,Alten Post“ (Viktoriaplatz) ist – dem flüchtigen Medium entsprechend – nur wenige Tage zu sehen, und zwar ab heute bis zum 30. November (täglich 10-17 Uhr). Zu dieser ersten Bestandsaufnahme der Btx-Kunst erscheint zum Preis von 22 DM ein Loseblatt-Katalog mit sämtlichen von Kümstlerhand erzeugten Bildern, die seit 1981 in der Bundesrepublik entstanden sind. Es ist weltweit der erste Katalog für Btx-Kunst.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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