Kunst im Dienst der Revolution – Werkschau über die Russin Ljubow Popowa

Von Bernd Berke

Die jahrelangen Vorbereitungszeiten für Kunstausstellungen haben manchmal seltsame Folgen: So wird ausgerechnet jetzt im Kölner Museum Ludwig einer „Tochter der russischen Revolution“ die Ehre erwiesen. Damit steht man natürlich quer zu allen Entwicklungen.

Die Künstlerin Ljubow Popowa (1889-1924) ist seit den 20er Jahren nicht mehr mit einer Einzelausstellung gewürdigt worden. Also gibt es eine praktisch unbekannte Größe zu entdecken, die im Umkreis von Berühmtheiten wie Malewitsch, Archipenko und Tatlin gewirkt hat.

Ljubow Popowa ist höchst empfänglich für Anregungen und Vorbilder. So orientiert sie sich – nach frühen, hochtalentierten Naturstudien – zunächst am Impressionismus, dann an Cézanne, sodann an Kubismus und Futurismus, schließlich am vollends abstrakten „Suprematismus“ eines Kasimir Malewitsch. Nicht immer findet sie dabei zu gänzlicher Eigenständigkeit, auch wenn sich die Farbigkeit ihrer kubistischen Bilder (fernes Vorbild: russische Ikonen) von Picasso und Braque deutlich abhebt.

Am interessantesten ist sicher Popowas abstrakte Phase, die etwa 1916 beginnt. Erstaunlich die Dynamik, die sie auf der Bildfläche mit ihren „Raum-Kraft-Konst-Konstruktionen“ erzielt. Sie hat solche durchaus beachtlichen Form-Errungenschaften alsbald ganz in den Dienst der Revolution und kommunistischer Propaganda gestellt. Da erweist sich die Tendenz zur Abstraktion vom Menschenbild denn manchmal auch im schlechten Sinne als Über-Formung. Besonders deutlich wird dies anhand ihrer Entwürfe für Schauspielerkostüme, die nicht nur für die Bühne, sondern fürs ganze Leben gedacht waren und sehr stark an Uniformen gemahnen.

Andererseits sind gerad Popowas Bühnenbildentwürfe (vor allem zu Inszenierungen von Wsewolod Meyerhold) bemerkenswerte Belegstücke der Theatergeschichte. Hier wird Abstraktion in Gestalt von Gitter- und Rippenmustern sowie maschinenförmigen Aufbauten ganz real wirksam. Man kann sich gut vorstellen, wie hier die gesamte Theatermaschinerie entfesselt wurde, um den „neuen Menschen“ gleichsam auf der Bühne zu erzeugen. Diese Kunst hat etwas grandios Vorwärtsdrängendes und Zukunftsgewisses, sie entspricht eben dem damaligen Revolutionsoptimismus.

Am Ende ihres sehr kurzen Lebens (Stalins Drangsalierung avantgardistischer Kunst erlitt sie nicht mehr) wandte sich die Popowa völlig von der Tafelbildmalerei ab. Kunst, so damals nicht nur ihr Bekenntnis, mußte mitten im Leben wirken, mußte „Produktionskunst“ werden. Hierfür stehen abstrakte Stoffmuster-Entwürfe für eine „Mode der Zukunft“, die in Fabriken massenhaft angefertigt werden sollte.

Ljubow Popowa. Malerin der russischen Avantgarde. Köln, Museum Ludwig. 1. Oktober bis 1. Dezember, di-do. 10-20 Uhr, fr.-so. 10-18 Uhr. Eintritt 8 DM. Katalog 45 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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