Halluzinationen des Alltags – die Bildwelt von Karl Horst Hödicke

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Der Alltag steckt voller Mythen, Märchen und Magie. Und: Gerade in den unscheinbarsten Banalitäten kündigen sich die schlimmsten Katastrophen an. Oder ist es doch umgekehrt? Erweist sich als harmlos, was katastrophal schien?

Nichts ist ohne Hinter-, Neben- und Doppelsinn in der irritierenden Bildwelt Karl Horst Hödickes. Jetzt bietet sich in Düsseldorf die Gelegenheit zu entsprechenden Rätselfragen. Die Kunstsammlung NRW zeigt mit 45 Gemälden, Skulpturen und Objekten (bis zum 21. September, Katalog 30 DM) eine Retrospektive des 48jährigen, der in den letzten Jahren zumeist als „Vater der Neuen Wilden“ gehandelt wurde – eine unzulässige Verkürzung, wie sich nun zeigt.

Hödicke widmete sich schon in den 60er Jahren der Figürlichkeit, als die meisten sich abmühten, hochfliegende Kunst-Theorien vom Ende des Tafelbilds zu „reflektieren“. Schüler des Tachisten Fred Thieler, bezog Hödicke von Beginn an die Trieb- und Fliehkräfte spontaner Malgestik mit ein. Vielfach ergab dies verblüffende Überblendungen des abstrakten und des gegenständlichen Expressionismus.

Hödicke verarbeitete vielerlei Einflüsse. Ein frühes Werk wie das dynamische Menschen- und Gestengeflecht „Am großen Fenster“ (1963) bezieht deutliche Anregungen von Max Beckmann. 1965 experimentierte er – Titel: „New York City?“ – mit Rastern à la Piet Mondrian, die er freilich ebenso eigensinnig variierte wie Picassos „Laufende Frauen am Strand“, denen er seine furiose „Vertreibung“ gegenüberstellt. Picassos schwellendes Formgefüge löst sich da vollends auf zu einem grellen, taumelnden Ausbruch. Auch Farbrinnsale, die beim Malprozeß entstanden, übertünchte Hödicke nicht.

Mit seinen Vexierbildern verspiegelter Großstadt-„Passagen“ griff Hödicke früh die Thematik der bedrohlich anonymen Metropolen auf, der er sich in den letzten Jahren wieder verstärkt zuwandte. Auf großformatigen Alltags-Halluzinationen scheinen Ur-Rituale, magische Praktiken und gefährliehe Tiere die Stadt zu erobern. Eine Frau bekommt ihre Geburtswehen mitten auf der Straße, bedroht von einem zähnebleckenden Krokodil und einem Auto, das gleichfalls wie eine Bestie wirkt.

Unter der dünnen Decke der Zivilisation brechen Dschungel und Wüste durch. Da starren offenbar hirnlose Monstren über die Berliner Mauer gen Osten (dicht vor der Mauer hat Hödicke sein Atelier – in einer Stadtödnis, die er „Wüste Gobi“ nennt). Auch die „Hausbesetzer“ (1983) werden zu sprungbereiten Bestien. Nicht denunzierend, sondern mythisch-märchenhaft auch dies: Die Gestalten sind nach dem Schema der „Bremer Stadtmusikanten“ aufgetürmt – ein für Hödicke typisches, ironisch-witziges Sinn-Spiel.

Harmlosigkeit und unterschwellige Bedrohung vermischen sich auch auf dem Bild „Telefonzelle“ (1982). Da könnte ebenso gut ein Mord verabredet wie ein Plausch gehalten werden. Und „Im Blaulicht“ (1983) fegt eine Gestalt durchs Bild, die Feuerwehrmann oder Todesbote sein könnte. Wie bei Standbildern eines Films, kann der Betrachter endlos Vorgeschichten und Fortsetzungen weiterspinnen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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