Archäologen ständig auf der Flucht vor Baggern – Erfolgserlebnisse bei Ausgrabungen in Westfalen selten

Von Bernd Berke

Münster. Die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sitzen gehörig in der Klemme, und zwar so: Rechts will ein Bauer endlich seinen Mais anbauen, links durchwühlen Bagger – zum Wohle der Konjunktur – das Erdreich nach verwertbarem Bausand; mittenmang, auf einem schmalen Feld, graben die Wissenschaftler fieberhaft nach Zeugnissen alter Kulturen. Sie sind „auf der Flucht vor dem Bagger“ in arge Zeitbedrängnis geraten.

Dies ungute „Spielchen“ müssen Forscher derzeit wieder einmal mitmachen, und zwar im Münsteraner Stadtteil Gittrup, wo zwar mögliche Funde aus einem halben Dutzend Geschichtsperioden (von der Zeit des Neandertalers bis ins frühe Mittelalter) geortet wurden, der Hektik wegen aber nur zu Bruchteilen ans Licht befördert werden können.

Motorräder rasen über die Fundstelle

Zu allem Überfluß sitzen den Ausgräbern hier nicht nur wirtschaftliche Interessen „im Nacken“; das winzige Areal, auf dem sich die Archäologen vermutlich nur noch kurz werden betätigen dürfen, wurde auch noch von Motorradfreaks als Sandbahn mißbraucht. Kurios: Das sie für Grabungen keine Zeit mehr haben, erfahren die Fachleute meist erst durch die Schaufelarbeit der Bagger von Fundstellen. Dann ist Eile geboten.

Beklagenswerte Probleme gewiß, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe da gestern einer Schar von Pressevertretem vor Ort erläutern wollte. Man stimmte jedoch nicht nur Klagelieder an, sondern wollte auch eins der mittlerweile raren Erfolgserlebnisse vermitteln, und zwar „live“. Das ging freilich schief. Eigens um auf die Medien zu warten, hatten die Ausgräber eine Stelle noch nicht angerührt, neben der kürzlich eine bronzezeitliche Gürteldose gefunden worden war. Die Gelehrten vermuteten an dieser Stelle weitere Schätze, die aber gestern nicht zum Vorschein kamen.

Bergung „live“ ging schief 

Wer immer zuvor geargwöhnt haben mag, die Archäologen würden halt fix noch etwas verbuddeln, um es dann triumphierend zu bergen, mußte Abbitte leisten. Rund um Gittrup, wie vielerorts in Westfalen, liegen zahlreiche Stätten, die für die archäologische Auswertung bereits unwiederbringlich verloren sind. Man weiß, daß hier z. B. riesige Urnenfelder existieren müssen, doch man kommt nicht mehr an sie heran. Entweder stehen auf den rekultivierten Sandflächen schon wieder Gebäude oder es wachsen dort Pflanzen. Wollte man hier graben, bekäme man es mit den Naturschützern zu tun. Wenn’s allerdings hart auf hart kommt, wenn etwa aufschiebbare Baggerarbeiten zum Schaden einer laufenden Archäologie-Grabung vorangepeitscht werden – dann riskiert man mit guten Aussichten auch schon mal einen juristischen Streit samt verwaltungsgerichtlichem Ortstermin an der Grabungsstelle.

Wühlmäuse vor Jahrtausenden

Angesichts all dieser Probleme ist um so erstaunlicher, was die Experten aus den dürftigen Spuren herauslesen, die sie bei ihren Notgrabungen gerade noch sichern können. Walter Finke, leitender Archäologe des Regierungsbezirks Münster, weiß zum Beispiel einige (für Laien kaum wahrnehmbare) Bodenverfârbungen als Spuren eines Pfluges zu deuten, der hier im Mittelalter durch den Acker gezogen wurde. Andere, etwa fünfmarkstückgroße dunkle Flecken, geben Finke Aufschluß über Wühlmäuse oder Maulwürfe, die hier vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden durch den Boden gewuselt sind. Im Vordergrund stehen freilich Grabstätten und -Beigaben, wie die – je nach Epoche – höchst unterschiedlich geformten Urnen. Solche Funde lassen auch Rückschlüsse auf vorzeitliche Besiedlungsstrukturen zu.

Doch so sehr man sich auch müht und modernste Analysemethoden anwendet – letztlich führt man mit Spachtel, Schippe und Pinsel einen wenig aussichtsreichen Kampf gegen die „gefräßigen“ Bagger. Walter Finke ist denn auch bescheiden geworden: „Manchmal freuen wir uns schon, wenn wir vage ahnen, was uns eigentlich verlorengeht.“

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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