Wie das Ruhrgebiet die Kriegsjahre erlebte – Ausstellung zu Alltags-Erfahrungen im Essener Ruhrlandmuseum

Von Bernd Berke

Essen. Man kann hier in einem typischen Wohnzimmer der 40er Jahre Platz nehmen. An der Wand prangt ein Propaganda-Teller aus Meißner Porzellan; die Inschrift feiert die „Winterschlacht 1941/42″. 8-mm-Stummfilme, die man „damals“ kaufen konnte, schnurren ab: gespenstische Zusammenschnitte aus den Wochenschauen, ohne das markige Wortgetöse. Ein paar Schritte weiter lessen sich per Volksempfänger „Feindsender“ empfangen. Für alle, die es nur hören wollten, berichtete die Londoner BBC bereits 1942 ausführlich über den Massenmord an Juden.

Mit seiner Ausstellung „Über-Leben im Krieg“ versucht das Essener Ruhrlandmuseum Kriegserfahrungen im Revier anschaulich zu machen. Es gibt da natürlich Themenbereiche, die sich jeder noch so überlegten musealen Darstellung entziehen. So mutet es verzweifelt hilflos an, die Deportationen anhand eines nagelneuen, aber auf „Reichsbahn“ getrimmten Güterwaggons zu verbildlichen, in dessen Innerem die Stimme von Ida Ehre Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ spricht.

Dennoch hat die Ausstellungsmacherin, Dr. Mathilde Jamin, mit ihrem Team generell einen richtigen Weg eingeschlagen. Ganz bewußt hat sie auf tausendfach abgenutzte Bilder und Dokumente sowie auf Embleme der Nazi-Diktatur verzichtet. Versatzstücke wie Fahnen und Hitlerbilder gibt es nicht. Auch Kriegswaffen werden nur als verrosteter Schrott gezeigt. Nicht Ereignis-Historie steht hier im Vordergrund, sondern Zeugnisse einer bis heute nur bruchstückhaft aufgearbeiteten Alltags-Geschichte des Krieges.

Hakenkreuz-Brettspiele und Wehrmachtskondome

Die Dokumente – vielfach von Privatleuten aus dem Revier zur Verfügung gestellt – reichen von Feldpostkarten über ein Regal voller quasi-touristischer Mitbringsel aus den ersten Kriegsjahren (Mode aus Paris usw.) bis hin zu Hakenkreuz-Brettspielen und trivialen Heftromanen, mit denen Soldaten ihre Freizeit verbrachten. Sogar eine Packung mit Wehrmachtskondomen liegt in einer Vitrine. Das mag sich verharmlosend anhören, ist es aber keineswegs. Immer wieder wird solchen Alltagsdingen die andere Seite des Krieges gegenübergestellt. Beide Wirklichkeiten zusammen ergeben erst den wahren Schrecken.

Nicht nur Zellentüren mit Inschriften der Zwangsarbeiter (von denen es allein in Essen 70000 gab) erinnern an Schicksale, die vielleicht noch furchtbarer waren als die Bombennächte für die deutsche Bevölkerung. Immer wieder wird diese Perspektive der Opfer aufgegriffen.

Die Frage, ob es im Revier ganz spezifische Kriegserfahrungen gegeben hat, können auch die Essener Museumsleute nur schwer beantworten. Im Grunde stehe das Revier hier exemplarisch für andere Großstädte und Industriezonen (was die Ubernahme durch andere Museen erleichtern könnte). Möglich, aber noch nicht vollends beweisbar sei, daß aus dem Ruhrgebiet weniger Männer an die Front kamen als aus anderen Regionen. Dafür mußten sie hier „Schlachten“ in der (Rüstungs)-Produktion schlagen.

„Über-Leben im Krieg“, Ruhrlandmuseum Essen, Goethestraße. Bis 4. März 1990 (di-so 10-18, do 10-21 Uhr). Begleitbuch im Rowohlt-Verlag 19,80 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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