Von Bernd Berke
Recklinghausen. Der Raum ist voller Menschen. Einige haben die Schuhe ausgezogen, lassen sich barfuß und mit geschlossenen Augen durch Holzkästen führen, in denen Zweige, Walderde oder Steine liegen.
Andere riechen hingebungsvoll an kleinen Fläschchen mit natürlichen und künstlichen Düften, wieder andere spielen auf einem Xylophon aus Ästen oder greifen „blind“ in aufgehängte Beutel. Inhalt: z. B. Blätter, Reiskörner, Erbsen. Partyspielchen? Selbsterfahrung? Eher Letzteres: Was sich gestem im Recklinghäuser Ruhrfestspielhaus abspielte, stand unter dem Titel „Improvisationstheater Mensch und Natur“. Ein Ziel: unmittelbare, in Theaterarbeit umsetzbare körperliche Erfahrung durch Tast- oder Geruchssinn, ohne „Umweg über den Kopf“.
Das Projekt, seit dem Frühjahr von der NRW-Landesarbeitsgemeinschaft für Spiel und Theater vorbereitet (die WR berichtete), hatte ursprünglich in eine ganze Umwelt-Theaterwoche in Recklinghausen münden sollen. Im Lauf der Zeit sprangen jedoch derart viele Amateur- und Schülergruppen ab, daß der gestrige Tag zur Präsentation der Ergebnisse ausreichte. Am Vormittag wollten nur 120 Zuschauer wissen, wie sich die Umwelt mit theatralischen Mitteln erfassen läßt, erst in den Nachmittagsstunden ging es lebhafter zu. Hermine Bredeck, Vorsitzende der Landes-AG, ist über den „Zuschußbetrieb“ trotzdem nicht enttäuscht: „Viele wollen unabhängig von uns weitermachen.“ Hauptgrund für den kargen Zuspruch ist nach ihrer Meinung die Inflation freier Theaterfestivals, die es in den letzten Jahren im Revier gegeben habe.
Den Anfang machte gestern die Theater-AG des evangelischen Gymnasiums Siegen mit ihrer „Odyssee der Vögel“ – alles, was Federn hat, flüchtet vor der rohen Menschen-Zivilisation auf eine unberührte Insel. Später luden Aktionsräume wie der zu Beginn beschriebene zum Mittun ein. Am Abend führten Gruppen aus ganz NRW (Altersdurchschnitt ca. 17 Jahre) vor, was sie in monatelanger Arbeit und unter wissenschaftlicher Hilfe eines Biologen der Landesanstalt für Ökologie zur Improvisationsreife vorangetrieben haben – so etwa eine Pantomime über die Versklavung des Mensehen durch technische Apparaturen oder eine Darstellung der Jahreszeiten in einem Garten. Vielfach stellen Menschen Pflanzen dar. Es sind Versuche, sich ins „Innenleben der Natur“ zu versetzen statt dutzendfach „vorgekaute“ Argumente der Umweltdiskussion nachzubeten. Hermine Bredeck: „Das ist erst der Anfang. Im nächsten Jahr geht’s weiter“.