Von Bernd Berke
Der Kreis Kleve hat Image-Sorgen. Allzu häufig, so meinen Offentlichkeitsarbeiter vom Niederrhein, hat allein der „Schnelle Brüter“ für (eher unrühmliche) Schlagzeilen gesorgt. Den Ruf des bloßen Sammelplatzes für Großdemonstrationen zu korrigieren, war denn auch der Zweck einer Pressefahrt, die das Amt für Wirtschaftsförderung des Kreises an der deutsch-niederländischen Grenze veranstaltete. Tenor: „Wir haben mehr zu bieten als teure Großtechnologie.“ Hier einige Eindrücke:
Wer auf dem Marktplatz von Kalkar steht, hat historischen Boden unter den Füßen. Die Pflastersteine sind dieselben, über die die Altvorderen im 16. Jahrhundert schritten. In jener Zeit wurde auch die ehrwürdige Gerichtslinde gepflanzt, die noch heute den Stadtmittelpunkt ziert. Eigentlich sollte der Baum schon längst gegen einen jüngeren „Nachfolger“ ausgetauscht werden, doch dank der Künste eines Nürnberger „Wunderdoktors“, der alljährlich heilsame Emulsion in den Stamm injiziert, hält sich die Linde immer noch.
Wenige Kilometer von diesem spätmittelalterlichen Idyll entfernt entsteht jenes Bauwerk, das nach Ansicht seiner Befürworter den Weg ins Jahr 2000 markiert: der „Schnelle Brüter“. Kalkars Stadtdirektor Rainer Jürgenliemk hält viel von dem Milliarden-Projekt, und das ist aus seinem Blickwinkel auch ganz verständlich, bringt doch der Koloß von Kalkar schon lange vor seiner Inbetriebnahme (frühestens 1986) einiges fürs Stadtsäckel. Rund ein Viertel der gesamten Gewerbesteuereinnahmen Kalkars kämen bereits jetzt von der Betreibergesellschaft des Nuklearriesen, die damit der bei weitem größte Steuerzahler des Städtchens sei – und das, obwohl von hier noch kein Kilowatt elektrischer Energie geflossen ist.
Kein Wunder also, daß der Verwaltungschef Proteste gegen das Mammut-Vorhaben beiseite wischt: „Die Bevölkerung unseres Kreises ist sowieso zu 95 Prozent neutral in dieser Angelegenheit“, meint er. Demonstranten kämen überwiegend von weither. Der „Brüter“ schaffe zunächst etwa 140, später dann 200 Arbeitsplätze. Stille Hoffnung: Jetzt könne sich Kalkar sozusagen am eigenen Schopfe aus dem Sumpf des Gemeinde-Defizits ziehen.
Rings um den neu 12 000 Einwohner-Ort Straelen findet man die dichteste Konzentration von Gewächshäusern im gesamten Bundesgebiet. Straelen selbst ist Schauplatz eines besonders farbenreichen Spektakels. Hier findet täglich die größte bundesdeutsche Blumenauktion statt. Etwa 15 Prozent aller in Westdeutschland umgesetzten Schnittblumen gehen hier den Weg vom Züchter zum Händler. Der Laie kann die hektische Auktion (1400 Verkäufe pro Stunde!) erst richtig verfolgen, wenn er sich mit den Geheimnissen der Straelener „Blumenuhren“ vertraut gemacht hat. Das sind zwei zifferblattähnliche elektronische Anzeigetafeln, die die wichtigsten Fakten zum Versteigerungsgeschehen innerhalb von Sekundenbruchteilen anzeigen. Für Statistiker: auf dem Straelener Versteigerungs-Großmarkt werden pro Jahretwa 250 MillionenEinzelblumen (Stiele) angeliefert, davon z. B. 30 Millionen Rosen.
Der sagenhafte Lohengrin würde vermutlich wohlgefällig nicken, wenn er von seiner Stammburg in Kleve heute das Land überblicken und eine weitere Attraktion des Niederrheins sehen könnte. Ein bei Wandervögeln beliebter Rheinarm von fast 5 Kilometer Länge, der zu versanden drohte, wurde mit einem Saugbagger entschlammt und führt jetzt wieder sauerstoffhaltiges Wasser. Das zwischen Emmerich und Rees gelegene Areal bietet nun etwa 60 000 Wildgänsen aus dem hohen Norden ein ideales Winterquartier.
Perfekte Fliesen aus Emmerich riefen Fälscher auf den Plan
Auch hochwertiges Kunsthandwerk kommt aus dem Kreis Kleve. Eine Keramik-Manufaktur in Emmerich hat neuerdings Fliesen und Kacheln im Programm, die originalgetreu nach alten Motiven handbemalt werden. Sogar die Haarrisse der Vorlagen werden nachgeahmt. In limitierter Auflage und mit Echtheitszertifikat ausgestattet, sind die Stücke zu begehrten Sammelobjekten geworden. Sorgen bereitet den Herstellern allenfalls die eigene Perfektion: die Fliesen sind so täuschend „auf alt gemacht“, daß Fälscher schon das Emmericher Firmenzeichen abschmirgelten und die dekorativen Produkte als „echte Antiquitäten“ zu Phantasiepreisen unter die Leute brachten.
Der Wallfahrtsort Kevelaer ist Sitz einer der bedeutendsten Werkstätten für Glasmalerei ganzen Bundesgebiet. Das Unternehmen hat sogar das althergebrachte, verbriefte Recht, sich mit dem Beinamen „päpstliche Hofglasmalerei“ zu schmücken. Jeder Arbeitsgang wird hier noch von Hand ausgeführt. Die Farbpalette läßt kaum Wünsche offen. Mehrere tausend Farbwerte in allen denk- und kaum noch sichtbaren Abstufungen sind als koloriertes Glas lieferbar. Ergebnisse sind weltweit zu besichtigen. In die Weltfriedenskirehe Hiroshimas wurden ebenso in Kevelaer gestaltete Fenster eingesetzt, wie in die Dome zu Trier und Köln. Besonders hat man sich auf die Restaurierung unersetzlichen alten Glases verlegt.
Vom Kunsthandwerk zur Kleinkunst:. Heinz Bömler (35) aus Goch ist Herr über die wohl kleinste fahrende Puppenbühne weit und breit. Das Mini-Theater wurde in einen Speditionswagen aus dem Jahr 1913 eingebaut, auf dessen 9 Bänken bis zu 50 Kinder Platz finden. Gezogen von einem DDR-Uralt-Traktor rollt die Wanderbühne von Ort zu Ort.
Zu nennen wären etwa noch die supermoderne Zuckerfabrik Appeldorn, in der täglich 5000 Tonnen Rüben verarbeitet werden oder das Niederrheinische Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte in Kevelaer mit seiner umfangreichen Spielzeug-Sammlung.
Es mangelt also nicht an Attraktionen und Kuriositäten im Kreis Kleve, die den „Schnellen Brüter“ freilich nicht ganz vergessen machen können.
Nähere Informationen gibt’s bei der Kreisverwaltung Kleve, Amt für Fremdenverkehr, Postfach 1507, 4190 Kleve (Tel.: 02821/85340).
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(Sonderseite „Bilder und Berichte“)