Wie das Wort der Stunde lautet

Auch im Schein einer Taschenlampe werden mehr Dinge… (fehlendes Wort bitte nach Lektüre des Beitrags einsetzen). (Foto: Bernd Berke)

Bitte mal eben kurz herhören, Leute! Wie könnte wohl das Wort dieser Tage (Pressejargon: „das Wort der Stunde“) lauten? Jetzt mal ausnahmsweise abgesehen vom Militär-Sprech, das neuerdings Einzug gehalten hat und uns schon ganz geläufig von den Lippen geht. Wer könnte nicht den Unterschied zwischen Marder und Gepard darlegen?

Zur Erinnerung nur ein paar Beispiele: Zuletzt hatten wir unter anderem das Narrativ, das mittlerweile in jeden zwölften Satz eingebaut wird, so dass man seiner vollends überdrüssig ist. Außerdem nervten sie uns im gepflegten Diskurs ständig mit der Resilienz, also der fremdwörtlich imponierend aufgeplusterten Widerstandskraft. Ungefähr gleichzeitig hatte – zumal im Kulturbetrieb – vieles immersiv zu sein; man durfte also nicht nur distanziert betrachtend davorstehen, sondern sollte tief eintauchen. Im Geschlechterkampf brach sich derweil das Wörtchen toxisch Bahn, vorzugsweise mit Bezug auf alte weiße Männer oder wenigstens Boomer. Und natürlich, nicht zu vergessen, ging nahezu nichts mehr ohne das Zauberwort divers mitsamt allen Ableitungen wie Diversität. Demnach soll alles entschieden vielfältig und verschieden sein, aber nicht im Sinne von tot, sondern von unterschiedlich. So weit, so woke.

Und nun? Was haben wir jetzt? Welches Wort hat sich in letzter Zeit schleichend, aber im Ergebnis ziemlich deutlich eingestellt? Großer Trommelwirbel: die Sichtbarkeit! Achtet doch mal drauf, wie häufig das inzwischen vorkommt. Jedes kleinere oder größere Anliegen macht sich anheischig, künftig sichtbarer zu sein. Jede gesellschaftliche Gruppierung (und sei sie noch so randständig) möchte unbedingt sichtbarer werden. Wenn freilich alles zugleich immer sichtbarer sein würde, so wäre schließlich – einer alten Redewendung zufolge – der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Das ist doch offensichtlich.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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