Sphärische Strahlkraft: Das Londoner Oktett VOCES8 erobert das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm mit Gesang

A-cappella-Gesang vom Feinsten: VOCES8 wurde im Jahr 2003 gegründet und 2005 von den Brüdern Paul und Barnaby Smith neu gruppiert, die schon als Knaben im Chor von Westminster Abbey sangen. (Foto: Markus Liesegang)

Ob es wohl süchtig macht, so singen zu können? Acht Stimmen zu einem einzigen Instrument verschmelzen zu lassen, kristallklar, lupenrein, homogen, mit sphärischer Strahlkraft?

Hunderttausendfach werden die Musikvideos des 2003 in London gegründeten Oktetts VOCES8 (sprich: ˈvo:tʃes eɪt) im Internet aufgerufen, die Alben millionenfach gehört. Wo das Oktett auch auftritt, zeigt es sich trotz hoher Gesangskunst nahbar. Es wendet sich seinem Publikum zu, sei es in London oder Tokio, in Amsterdam oder Peking.

Das Kulturbüro der Stadt Hamm konnte VOCES8 jetzt für zwei Konzerte gewinnen. Zuerst trat die Vokalformation im Gustav-Lübcke-Museum auf, mit ihrem Programm „London by night“, das unbeschwert durch 500 Jahre Musikgeschichte hopst. Ganz so kreuz und quer, wie sich das auf den ersten Blick liest, geht es dann aber doch nicht zu, denn der erste Teil des Abends bleibt „strictly british“.

Hier versammeln sich Werke aus dem goldenen Zeitalter der englischen Musik, von Thomas Tallis, William Byrd und Orlando Gibbons. Die Ergänzung durch Benjamin Britten, den „Orpheus britannicus“, und Arthur Sullivan, bekannt als die komponierende Hälfte des Opernduos Gilbert and Sullivan, wirkt nicht als Stilbruch, weil VOCES8 alles gleichermaßen transparent und lebhaft gestaltet: seien es nun komplexe Renaissance-Motetten oder Brittens ausdrucksstarke „Choral Dances“ aus seiner Oper „Gloriana“, samt Glockengeläut und Fischergesängen.

Obschon ein Flickenteppich aus lauter kurzen Stücken, verhindert das Oktett durch geschickte Moderation, dass Zwischenapplaus das Programm in seine Einzelteile zerlegt. So können Spannungsbögen entstehen, ruhevolle Momente wie in „O Nata Lux“ von Thomas Tallis, das in langen Legatobögen ausschwingen darf, und Arthur Sullivans melancholisches „The Long Day Closes“, das sich hier in noble Wehmut hüllt.

VOCES8 ist ein leuchtendes Beispiel für die englische Chortradition. Sie reicht bis ins 15. und 16. Jahrhundert zurück, als berühmte Chöre wie King’s College Cambridge und Christ Church Cathedral Oxford gegründet wurden. (Foto: Markus Liesegang)

Wenn die fünf Sänger und drei Sängerinnen die Notenpulte nach der Pause beiseitestellen, hat das eine Signalwirkung. Jetzt ist ein Hauch Showtime angesagt, in dezenter Dosis und mit britischem Understatement, denn nun driftet das Programm in Richtung Jazz und Musical. Es schlägt die Stunde der Arrangements. Johann Sebastian Bachs Bourrée II aus den „Englischen Suiten“, eigentlich ein Klavierstück, kommt als Folge launiger La-la-la und Dü-dü-dü-Laute daher, jazzig swingend. Sogar den Beat des Schlagzeugbesens auf dem Hi-Hat-Becken imitiert ein Sänger täuschend echt, leise durch die Zähne zischend.

Immer wieder entfalten diese Stimmen einen magischen Sog, fächern sich manchmal auch orgelgleich auf, zum Beispiel in Carroll Coates „London by night“ (Bearbeitung: Gene Puerling). Die Soli in Van Morrisons „Moondance“ werfen ein Schlaglicht auf die Exzellenz der einzelnen Mitglieder. Wer solch klangschönen, wohlgeformten, makellosen Gesang hören möchte, wird nur in der internationalen Spitzenklasse fündig.

Die ultimative Charme-Offensive starten VOCES8, wenn sie „Come fly with me“ von Sammy Cahn mit „Fly me to the moon“ von Bart Howard verschränken. Da sind sie wie nebenbei ihre eigene Schlagzeug-Combo. Am längsten klingen vielleicht die leisen Stücke nach. „Underneath the stars“ von Kate Rusby und „Timshel” von Mumford & Sons künden von einer Hoffnung, die Tod und Trauer überwindet. VOCES8 singen von diesem bittersüßen Trost, als wollten sie alle Erdenschwere hinter sich lassen: „Death will steal your innocence, but you are not alone in this, you are not alone.”

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