Schnell her mit der nächsten Debatte!

Immer und immer wieder diese Debatten. Auch in der letzten Zeit ging es wüst her. Haben wir da etwas versäumt?

Seitdem die maßgeblichen Kulturteile überregionaler Zeitungen sich vor Jahr und Tag zu „Debatten-Feuilletons“ erklärt haben, um notfalls jeden Kram durch die kulturkritische Mühle zu drehen, müssen wir stets auf dem Posten sein. Sonst entgehen uns womöglich Meinungen, die wir uns niemals hätten träumen lassen.

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Nehmen wir nur den Kinderbuch-Streit, der jetzt so manche Redaktion – wie es so unschön heißt – „in Atem gehalten“ hat. Darf man Worte wie „Neger“ etwa in einem Buch von Astrid Lindgren stehen lassen – oder muss man sie nun endlich flugs ersetzen? Je nun, lasst sie einfach stehen, denn alles andere wäre eine idiotische Verfälschung. Aber verwendet diese Worte halt heute nicht mehr. So einfach könnte das sein. Aber damit ließen sich all die Spalten, Seiten und Sendeplätze nicht füllen. Man muss sich also öffentlich erhitzen und dabei so gekonnt provozieren, dass sich andere zur Gegenmeinung aufschwingen. Und so weiter. Erst dann wird eine richtig schöne, weil heftige Debatte daraus.

Dann hatten wir wieder Nazi, Nazi, Nazi. Hitler- und Goebbels-Vergleiche oder Antisemitismus-Vorwürfe gehen unter allen Debattenthemen immer noch am besten; erst recht, wenn man zwei prominente Publizisten gegeneinander hetzen kann – in diesem Falle bekanntlich Henryk M. Broder und Jakob Augstein. Dann ist endlich mal wieder Krawall auf der Bühne. Und jede(r) bringt sich in Stellung und feuert seine Worte ab. Ein saftiger Rufmord ist rasch geschrieben.

Und noch so ein Duell: Die Suhrkamp-Chefin, Schriftstellerin und Unseld-Witwe Ulla Berkéwicz tritt seit Monaten gegen den Verlags-Miteigentümer Hans Barlach an, den der Suhrkamp-Autor Peter Handke als den Bösen schlechthin erkannt haben will. Wieder so eine Frontstellung, wie sie für kernige Debatten zündkräftig ist. Hier steht natürlich gleich ein Gutteil der deutschen Kultur (oder wenigstens die „Suhrkamp-Kultur“) auf dem Spiel. Jedenfalls droht der Verlag in unsinnigen Scharmützeln zerrieben zu werden, was ja traurig genug ist. Unterfüttern lässt sich der juristische Dauerstreit, gegen den einst „Dallas“ und „Denver“ Kuschelgruppen waren, noch mit dem uralten Muster „Die Schöne und das Biest“.

Selbst ums unsägliche „Dschungelcamp“ kommt man heute angeblich nicht mehr herum. Beim Quotenbringer herrsche ja (höhere?) Ironie, befinden nun manche Edelschreiber. Andere halten empört dagegen. Also scheint’s legitim zu sein, sich selbst über diesen Dreck auch im Feuilleton die Köpfe heiß zu reden. Da sehnt man sich fast wieder nach Schmutz- und Schund-Kampagnen zurück. Aber nee. Nicht ernsthaft.

Wenn man schon tief ins Triviale driften darf, so muss man natürlich auch küchenpsychologisch erörtern, warum bestimmte Promi-Beziehungen (Wulff, Van der Vaart) scheitern. Und bloß die Expertenbefragung nicht vergessen!

Da war es halt nur noch ein kleiner Schritt bis zur nächsten Geschlechterdebatte, die von einer Stern-Journalistin ein Jahr nach dem offenbar schlüpfrigen Vorfall lanciert wurde und den FDP-Mann Brüderle in Bedrängnis bringen sollte. Müßig zu erwähnen, dass Sex neben Nazi stets am besten läuft. Übrigens: Nicht nur heimlicher Nazi, auch Sexist kann eigentlich jeder sein. Gut, nicht wahr? So können sich alle irgendwie betroffen fühlen. Auch fallen in derlei Fällen immer ein paar ungemein witzige Wortspiele oder Vergleiche ab, so etwa „Prüderle“ oder – nochmal zurück – die puppenlustige Einlassung, Henryk M. Broder sei der Bud Spencer des deutschen Debattenwesens.

Es ist nicht damit getan, dass Journalisten und Talkshowgäste die widerstreitenden Meinungen vorturnen. Auch wir sind gehalten, uns ständig zu positionieren und Meinungen zu haben. Wir sind doch nicht von gestern! Im fidelen Jahresend-Quiz fragen die Blätter dann gern ab, ob man auch ja jeden Hype mitbekommen hat und sich noch an kuriose Details erinnert. Macht euch ruhig schon mal Notizen für Ende 2013. Stichwort „Säue, durchs Dorf getriebene“.

Gewiss: Natürlich sind viele kluge und interessante Beiträge zu goutieren. Manche Debatten kann man wahrhaftig als Anstöße verstehen, nach denen denen sich möglichst breite Teile der Gesellschaft über ihr Wesen und Wirken verständigen könnten. Aber ach, allzu oft ist es eben nur Raunen, Rauschen und Zeitvertreib. Dann springt die Medien-Maschinerie einfach zu schnell an, damit nur ja wieder neue „Aufreger“ produziert werden. So kommt es, dass man nicht nur von Politik-, sondern auch von Medien-Verdrossenheit reden kann.

Eine Wette, die darauf setzt, dass die Deutschen auf dem Felde aufgeregter Debatten Weltmeister werden könnten, hätte gute Aussichten. Gelassenheit wohnt woanders. Und manchmal wäre man gerne Eremit. Beispielsweise dann, wenn die nächste Grass-Debatte anhebt.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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8 Antworten zu Schnell her mit der nächsten Debatte!

  1. Bernd Berke sagt:

    Auch die Kollegin bei „Cicero“ verleiht jetzt (17. Februar) ihrem Überdruss Ausdruck:
    http://www.cicero.de/salon/kolumne-meinung-ist-schnell-meinung-ist-billig-meinung-geht-immer/53531

  2. Bernd Berke sagt:

    Da haben wir schon den Salat: Das oben erwähnte „Dschungelcamp“ („Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, RTL) ist just für einen Grimmepreis nominiert worden (http://kress.de/tagesdienst/detail/beitrag/119818-die-nominierungen-zum-49-grimme-preis-2013-roche-boehmermann-und-dschungelcamp-auf-der-liste.html).

    Wie gesagt, manchen Feuilletonisten gilt die Reihe als satisfaktionsfähig. Da mag man sich auch in Marl nicht mehr verschließen.

  3. Oliver Wittershagen sagt:

    Bei dem atemlosen Tempo, das eigentlich keine echte Debatte (inklusive Reflektion und Realitaetstest) zulaesst, bin ich voll und ganz bei dir

  4. Bernd Berke sagt:

    Hallo Oliver,
    dass es selbstverständlich wichtige Debatten gibt, steht andeutungsweise im Beitrag. Dennoch überwiegt bei mir zur Zeit der Überdruss, warum auch immer.
    Diese Debatten haben ja im atemlosen Tempo, das die Medien heute anschlagen (müssen), gar keine rechte Zeit mehr, sich zu entwickeln. Jene, die daran teilnehmen, haben dafür kaum Muße, sondern müssen gleich eine Meinung „raushauen“, um mal mit Jürgen Klopp zu reden.
    Übrigens: Auch in der Causa Brüderle gibt es natürlich gegenläufige Meinungen, beispielsweise die von Claudius Seidl aus der FAZ-Sonntagszeitung: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/sexismus-debatte-prueder-in-waffen-12040794.html

  5. Bernd Berke sagt:

    Wir wollen die WM ja auch nicht konkurrenzlos gewinnen.

  6. Hans Hermann Pöpsel sagt:

    Lieber Bernd, schau mal nach Frankreich, da geht es – mit anderen Themen – genauso wild zu.

  7. Oliver Wittershagen sagt:

    Hallo Bernd,
    ich finde Debatten sind wichtig, um sich selbst immer wieder in der Gesellschaft zu positionieren und zu ueberpfruefen, ob man immer noch seiner Meinung ist. Dabei sind einige Debatten subjektiv relevant – andere eben nicht.

    Aber warum nicht immer wieder Stellung beziehen? Warum nicht immer wieder schauen, was einem relevant und wichtig erscheint? Ich finde zB, dass es einer angeblich aufgeklaerten Gesellschaft unwuerdig ist, dass Maenner – vor allem aus einer Machposition heraus – der Meinung sind, sie duerften Frauen in eine Situation bringen, inder sie doch lediglich „Nein“ zu sagen brauchen – und das im Zweifel dann auch noch als Flirt bezeichnen. Mir gefaellt das nicht, dagegen beziehe ich, wenn ich es mitbekomme, Stellung. Und das Argument, dass man „aus einem Stier einen Ochsen macht“ (W. Bruhns bei Jauch) ist in diesem Zusammenhang eher erstaunlich. Frauen koennen selbstverstaendlich unterscheiden, ob jemand flirtet oder sabbert. Und nur sie duerfen entscheiden, als was sie es auffassen.

    Genauso sagt es unglaublich viel ueber unsere Gesellschaft aus, wie wir mit religioesen und kulturellen Praktiken umgeht, die eigentlich mit unserem Grundgesetz nicht im Einklang stehen. Was ist uns da wichtiger?

    Ich finde es auch eher unwichtig, Kinderbuecher nachtraeglich politisch korrekt zu machen. Ich war bis vor ein paar Tagen sogar dagegen – bis ich mich ueber dieses Thema mit Kollegen unterhalten habe, denen es wichtig war – aus Gruenden, die ich nicht bedacht hatte. Jetzt bin ich nicht mehr dagegen, werde meinen Toechterm aber nachwievor die Pippi-Urfassung vorlesen – und erklaeren.

    Also, von mir aus eher mehr als weniger debattieren. Und ich suche mir aus, an welchen Diskussionen ich teilnehme. Und wenn ich mir am Ende meiner Meinung sicher bin (auch und sogar wenn ich sie als Ergebnis der Debatte geaendert habe), dann habe ich viel gewonnen.

    Beste Gruesse und vielen Dank fuer den Anstoss dieser Debatte,

    Oliver Wittershagen

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