Wie man ganz schnell in die Zeitung kommt

Früher war’s gar nicht so leicht, als Normalsterblicher namentlich in die Zeitung zu kommen. Anonym hatte es erst recht keinen Zweck. Auch drangen etliche (unbequeme) Themen nicht vor bis in den Druck. Weitaus mehr als jetzt waren Zeitungen noch Sortier- und auch Kontrollinstanzen, sie verstanden sich gar als Leuchttürme. Journalisten glaubten einfach noch, den besseren Durch- und Überblick zu haben. Diese Selbstgewissheit hat sich längst verflüchtigt.

Ein Symbol muss sein: Früher verstanden sich Zeitungen noch als Leuchttürme... (Foto: Bernd Berke)

Ein Symbol muss sein: Früher verstanden sich Zeitungen noch als Leuchttürme... (Foto: Bernd Berke)

Seit einigen Jahren gibt es zudem jene „Bürgerreporter“, die manchen (vorwiegend lokalen oder „bunten“) Redaktionen einige Recherche-Arbeit abnehmen und kräftig Kosten sparen helfen. Das lockt (neben redlichen, doch unprofessionellen Zuträgern) auch viele Nachbarschafts-Aufpasser und Wichtigtuer an. Überdies zapfen Zeitungen heute gern die sozialen Netzwerke an. Auch da kann man gratis wildern und Infos abgreifen. Dass dort eingestellte Befindlichkeiten besonders authentisch seien, ist spätestens seit der Arabellion geradezu ein Mythos (der allerdings ebenso heftig bezweifelt wird).

Schwenk ins Provinzielle: Kürzlich gab es mal ein kleineres Erdbeben mit Epizentrum am Niederrhein und Ausläufern bis ins Ruhrgebiet. Bei Facebook konnte man ziemlich genau verfolgen, wo die Grenzlinien verliefen, und zwar nahezu in Echtzeit. Beispiel: Die Essenerin vermeldete beunruhigt, sie habe soeben ein Wackeln verspürt, der Düsseldorfer bestätigte das, aus Dortmund kam hingegen die Mitteilung, hier sei aber so was von gar nichts zu bemerken. Na, und so weiter. Man konnte also die rudimentäre Vorform einer Nachricht verfolgen. Allerdings hätte es noch einiger Nachforschungen bedurft, um sie in einem seriösen Medium zu publizieren. Sollte man meinen.

Kleines Gegenbeispiel. Ich zitiere aus einem mit heißer Nadel gestrickten Online-Bericht der in Koblenz erscheinenden „Rhein-Zeitung“, offenbar eine Mischung aus Agenturmaterial und fix angepappten Zutaten. Dort hieß es am 8. September zum besagten Erdbeben: „In Rheinland-Pfalz spürten viele Menschen das Beben… Aus Neuwied meldete S. W.* über Twitter: ,Das ganze Haus hat gewackelt.'“

Das ist doch mal eine Nachrichtenquelle! Die „Rhein-Zeitung“ betreibt just in Neuwied eine Lokalredaktion, doch sie zitiert einen x-beliebigen Einwohner, der sich via Twitter ausgelassen hat.

Wenn derlei private Ausrufe offenbar umstandlos den Weg in ein etabliertes Medium finden, so könnten sich dies nicht nur Witzbolde zunutze machen. Da braucht sich nur ein Freundeskreis zu verabreden, zeitgleich eine erfundene Neuigkeit auszustreuen – und schon steht’s im Blatt…

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* Die Rhein-Zeitung (http://www.rhein-zeitung.de) hatte Vor- und Zunamen des Twitterers ungekürzt genannt.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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1 Antwort zu Wie man ganz schnell in die Zeitung kommt

  1. Ingo sagt:

    Ist doch schon passiert – was anders war denn diese Kroko-Geschichte aus Kemnade/Hattingen als eine nette WAZ-Praktikanten-Blüte?
    Zwar „offizieller“ im Vertriebsweg, aber mit einem miesen Handy-Photo unterfüttert nicht legitimierter als eben ein facebook-Eintrag.

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